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Album-Review: TOOL – Fear Inoculum

Nach 13 Jahren des Wartens ist es endlich soweit: Tool veröffentlichen ihr erst fünftes vollwertiges Studioalbum "Fear Inoculum". Ob es meinen Erwartungen gerecht wird, erfahrt ihr in dieser Album-Review.

TOOL haben ihren Fans ein langes Auf und Ab geliefert, seit Ewigkeiten hieß es immer wieder: "Dieses Jahr ist es soweit!" und dann kam nichts. In diesem Jahr jedoch hatten wir, bereits vor der offiziellen Ankündigung, einige sehr eindeutige Anzeichen, dass es endlich soweit sein könnte. Auf der offiziellen Website der Progressive-Metal-Band änderten sich die Artworks, es gab eine große Tournee durch die USA und erstmals auch wieder Tourdaten für Europa. Auf YouTube tauchten erste Live-Aufnahmen von neuen Songs auf, zusammen mit dem Datum: 30. August. 


Song um Song durch "Fear Inoculum"

Das Album dreht sich thematisch stark um das Älterwerden und Ängste. Alle Main-Tracks sind über 10 Minuten lang. Der Titel Fear Inoculum passt dementsprechend, und so heißt auch der erste Song des Albums. Dieser wurde schon Anfang August als kleiner Vorgeschmack veröffentlicht. Ich selbst habe den Song Rauf und Runter gehört und halte ihn bis heute für einen guten TOOL-Track und einen sehr atmosphärischen Opener, vor Allem aufgrund des Synthesizer-Intros, das das Album toll einleitet. Viele eingefleischte Fans der Band kritisierten den Song jedoch: er sei eine sichere Wahl und verschenke eine Climax. Dem kann ich nur teils zustimmen. Ja, Fear Inoculum war eine sichere Wahl, ein typischer TOOL-Song, wobei die Vocals doch schon recht außergewöhnlich sind und und vom Stimmton- und der Lage an The Pot erinnern. Die Climax allerdings ist für mich, und dadurch, dass es am Ende auch der Opener des Albums werden sollte, sehr gelungen. 

Follow-up auf Fear Inoculum ist Pneuma. Einer der drei komplett neuen Tracks des Albums. Dieser erinnert stilistisch sehr an den heiligen Graal der Band: Lateralus. Genauer gesagt an den Hit Schism. Pneuma ist jedoch ausschweifender und zeigt, dass TOOL älter geworden sind. Gegen Mitte des Songs erklingt sogar ein Keyboard-Solo. Etwas völlig Neues für TOOL, aber alles andere als unpassend. Eine willkommene Ergänzung. Das Gitarrensolo am Ende ist dann ein sehr atmosphärischer und rockiger Abschluss.

Es folgt, zumindest auf der digitalen Version, ein Interlude (Litanie contre la Peur). Dieses ist für mich das einzige des Albums, das man ruhig auf die physische Version hätte übernehmen können. Die Synthesizer-Klänge haben eine gewisse Schönheit, wie von einer anderen Welt, und werden immer intensiver, nur um dann gleich wieder in sich zusammenzufallen. Ein perfekter Übergang zu Invincible.

Diesen Titel haben wir bereits auf Live-Auftritten gehört. Zum einen ist er sehr eingängig; in erster Linie getrieben von rhythmischen Komplexen. Auf der anderen Seite ist dies aber auch die größte Schwäche des Songs. TOOL versteifen sich zu sehr auf einzelne Parts, die weniger interessant sind, als vielleicht gedacht. Wenn man sich damit aber abfinden kann, und dies sogar als eine Art Spannungsbogen verstehen kann, ist Invincible ein Bretterknaller. Lyrisch sehr berührend und sängerisch äußerst schön, erzählt Maynard uns die Sage eines gealterten Kriegers, der TOOL selbst repräsentieren könnte. Doch der Krieger rappelt sich am Ende des Songs zu einer soliden und sehr passenden Climax auf, für die sich der Aufbau lohnt. Der Moment, wenn das Schlagzeug droppt und Danny Carey mit aller Wucht satt Becken und Snare trifft, ist unglaublich befriedigend.

Eingeleitet durch Wellenrauschen kommt nun mein persönliches Highlight von Fear Inoculum. Auch Descending hörte man bereits Live und er hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Die meiner Meinung nach besten Lyrics des Albums kombiniert mit Adam Jones' virtuosesten Riffs und Soli. Nach der Theorie des antiken Philosophen Thales von Milet entstand alles Leben im Meer. Descending erzählt vom Weg zur Apokalypse und dieser selbst - vom Untergang des Menschen. Es beginnt mit dem Wellenrauschen, aus dem der Mensch entspringt und endet auch wieder dort: der Mensch kehrt ins Wasser zurück. Diese Entwicklung wird perfekt instrumentiert ins Szene gesetzt. Basslines und Gitarrenarbeit lassen die Bilder von der Entwicklung des Lebens auf der Erde auf wundersame Weise im Kopf des Hörers entstehen. Das alles wird aber niedergerissen, vom apokalyptischen Finale.

Nachdem Maynard's Traum vom Untergang der menschlichen Zivilisation aus Ænema in Erfüllung gegangen ist und die Erde, beherrscht vom Ozean, zur Ruhe kommt, erheben sich mystische Klänge am Horizont - die Synthesizer von Culling Voices. Am Anfang war das Wort. Die Gitarre spielt atmosphärisch und ruhig, lässt viel Platz für Maynard James Keenan's Gesang. Schnell wird klar: Dies ist seine Hymne, sein Moment auf Fear Inoculum. Er berichtet uns von den Stimmen in seinem Kopf – im Kopf eines jeden Menschen – die den Weg weisen, ermahnen. Doch die Stimmung des Titels wendet sich; sie wendet sich zum bedrohlichen. Culling Voices zeigt eindrucksvoll, wie Maynard's Stimme ohne Screams, ohne offensichtliche Aggression bedrohlich klingen kann. Don't you dare, point that at me! Doch die erhoffte Climax fällt eher lasch aus. Das rollende Stoner-Riff ist zwar heavy und macht Spaß, doch bringt dieser Höhepunkt nicht so viel Variabilität, wie andere auf Fear InoculumCulling Voices bleibt ein solider TOOL-Track und ist vor allem lohnenswert, aufgrund seines schönen, atmosphärischen Aufbaus und der Vocal-Performance.

Der Chocolate Chip Trip ist ein nettes kleines Gimmick und in der Tat ein kleiner Trip. Es ist ein Drum-Solo, wie man es noch nicht gehört hat, von einem der genialsten Schlagzeuger aller Zeiten. Komische Synthesizer beginnen, das Schlagzeug bäumt sich auf, wird lauter. Ist das ganze nötig, auf einem Album? Nein, aber unterhaltsam ist es allemal. 

Bereits im Voraus hörte man einiges über den Finisher von Fear Inoculum. Das 16-minütige Monstrum 7empest. Es handele sich um Adam Jones' Meisterstück, sei ein Riffmonster - der spektakuläre und explosive Song, den sich jeder TOOL-Fan gewünscht habe. All dies ist 7empest, wäre da nicht ein kleines großes Manko, dass mich an diesem Titel etwas stört: die Länge! Sie mag aufregend klingen und bei der Menge an Stoff in diesem Track gerechtfertigt sein, aber sie kommt 7empest als Komplex nicht zu Gute. Der Song könnte einer der größten TOOL's sein, hätte man ihn etwas gerafft. Sei's drum. Bei voller Lautstärke wird der Hörer dennoch hinweggeblasen von der Wucht dieses Ausbruchs.


Fazit

Fear Inoculum ist ein TOOL-Album durch und durch. Eines, das sich einige neue Sachen traut. Adam Jones' Gitarrenspiel hat sich gewandelt, ist dominanter und Soli-intensiver, ja variabler und wieder mehr vom Heavy-Metal beeinflusst. Danny Carey's Drums sind vordergründiger denn je und Maynard James Keenan's Gesang verzichtet auf jegliche Screams, nutzt nur wenig Distortion. Trotzdem schafft es der Mann bedrohlich zu klingen, wenn er es denn will. 

Fear Inoculum hat nur gemischte Reviews in der Musik-und Fankritik erhalten und man mag mich strafen, wenn ich dem Konsens widerspreche. Ich, als subjektives Wesen, liebe dieses Album. Ich finde es genial, wie alle Songs ins Leere verlaufen angesichts ihrer Länge. Wie verspielt und komplex das Songwriting der US-Amerikaner ist. Ich liebe Adam Jones' Gitarrensoli auf diesem Fear Inoculum und Carey's kraftvolles, kreatives Drumming. Ich hätte mir nur eine Sache gewünscht: mehr Konzeptionalität und Zusammenhang zwischen den Songs. Nahtlose Übergänge. Dies hätte auch 7empests Länge als absolute Climax, auf die das gesamte Werk hinarbeitet, gerechtfertigt.

Fear Inoculum mag nicht TOOL's bestes Album sein, aber es ist ihr ambitioniertestes. 

Meine Erwartungen wurden erfüllt und ich hoffe auf noch ein weiteres neues Werk der Band, gegenüber welchem zumindest Schlagzeuger Danny Carey nicht abgeneigt ist.

8 / 10

Anspieltipps: "Pneuma"; "Fear Inoculum"
weitere Highlights: "Invincible"


Fear Inoculum auf Spotify: https://open.spotify.com/album/7acEciVtnuTzmwKptkjth5?si=7v0WU_HaREiv49AxoePWbA
Fear Inoculum auf Apple Music: https://music.apple.com/de/album/fear-inoculum/1475686696