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Essenzielle Alben: Crosby, Stills, Nash & Young – Deja Vu | 50th Anniversary Review

50. Geburtstag des Folk-Rock-Klassikers des Quartetts aus David Crosby, Steven Stills, Graham Nash und Neil Young: "Deja Vu" gilt bis heute als eines der essenziellen Alben der 1970er und wird unter anderem als zentrales Album der Woodstock-Hippie-Bewegung bezeichnet. Ein Essay über das Vermächtnis von "Deja Vu", seine Vinyl- und Neuauflagen mitsamt meines Rankings aller Songs des Albums.

Ein Exkurs über Vinyl-Pressungen, die 50th Anniversary Deluxe Edition und das Album-Vermächtnis

Ich war gerade fertig mit dem morgendlichen Zähneputzen, als die Nadel sich von meiner neuerworbenen, deutschen '80er-Pressung von Crosby, Stills, Nash & Young's Deja Vu erhob. Everybody I Love You ist der einzige Song, der mich hier klangtechnisch nicht ganz überzeugen kann. Davon konnte ich im Badezimmer mit dem Surren der elektrischen Zahnbürste aber eh nicht so viel hören. Angesichts des 50. Geburtstags von Deja Vu fragen Sie sich jetzt vielleicht – oder auch nicht – warum ich nicht die 50th Anniversary 2021 Remastered Version des Album höre. Naja, CSNY waren leider nicht so nett eine einzelne Vinyl zu veröffentlichen. Um an eine Neupressung zu kommen, muss man sich gleich die Deluxe Version mit vier CDs (drei davon mit Bonus Material) für 70€ kaufen. Da habe ich dann doch lieber auf eBay Kleinanzeigen gestöbert und zwei Pressungen – eine aus den '70ern, eine aus den '80ern – für insgesamt 46€ erworben. Erstere Pressung klingt dynamischer und besteht aus hochwertigerem, schwererem Vinyl. Dafür übersteuern Songs wie Teach Your Children oder das Country Girl-Medley angesichts eines schlechten Vinyl-Masterings. Die '80er-Pressung aus leichterem Vinyl ist im Gegensatz glücklicherweise wie neu und von Carry On bis einschließlich Country Girl gut hörbar. Für den genannten Gesamtpreis, der 10€ Versandkosten bereits miteinschließt, eine sehr gute Bilanz.
Dass einige der Songs klangtechnisch nicht allzu sehr überzeugen können, liegt am Aufnahme- und Entstehungsprozess von Deja Vu. Das Album wurde auf Tour in verschiedenen Studios aufgenommen und so unterscheidet sich die Aufnahmequalität von Song zu Song. Das ist irgendwie Teil des Mythos und des Charmes des Folk-Rock-Klassikers und bleibt auch im 2021 Remaster erhalten. Diese Inkonstanz der Aufnahmequalität korreliert sehr schön mit der Verschiedentheit der Songs, die auf Deja Vu zusammenkommen. CSNY ist, wie der Name schon sagt, ein Quartett aus vier außerordentlichen Songwritern mit zwei großartigen Gitarristen. Daraus folgt, das der eine Titel aus der Feder der einen Mitglieder, der andere aus der Feder anderer Mitglieder stammt. Auf Almost Cut My Hair singt ausschließlich David Crosby die Lead-Vocals, auf Helpless ist es Neil Young. Trotzdem entsteht am Ende ein großartiges und großartig funktionierendes Werk, auf dem jeder individuelle Song perfekt ist. Bei dem Perfektionswahn der Bandmitglieder ist auch das kein Wunder. Für Deja Vu nahm das neuerlich um Neil Young ergänzte Trio etliche Takes auf, bis es allen passte und alle gemeinsam in Tränen ausbrachen angesichts ihres Schaffens.
Okay, zugegeben, ich persönlich finde Deja Vu dann doch nicht ganz so perfekt. Ich lasse einmal die Bombe platzen: Ich kann Teach Your Children nicht leiden. Dennoch sehe ich Deja Vu als eines der perfekt unperfekten Alben der Musikgeschichte an, denn Teach Your Children ist generell einer der beliebtesten und ikonischsten Titel auf diesem Werk. Also wird es wohl einfach nur mein Geschmack sein, der an dieser Stelle nicht ganz mitspielt. Man muss auch dazu erwähnen, dass wohl jeder seine eigenen Favoriten von Deja Vu hat, was nur umso mehr die Qualitäten des Albums unterstreichen dürfte.

50 Jahre hat dieser Klassiker nun also überdauert und bis heute gibt es viele Hörer, auch aus anderen Generationen, die Deja Vu weiterhin hochhalten. Ich bin der lebendige Beweis. Wenn ich mir Deja Vu jetzt zu Gemüte führe, kann ich die Anfänge des Progressive-Rock und seine modernen Ableger wie Porcupine Tree hören (Deja Vu). Ich höre poppigen und rockigen Psychedelic-Rock (Our House und Almost Cut My Hair), ein Medley (Country Girl) und Folk (Teach Your Children und Helpless). Mit dem Joni Mitchell-Cover Woodstock präsentieren CSNY außerdem eine Art Titeltrack zu der wichtigsten Hippie-Musik-Bewegung der USA, benannt und manifestiert im gleichnamigen Open-Air-Festival, auf dem unter anderem Jimi Hendrix, CCR, Joe Cocker, Janis Joplin, Santana und The Who auftraten. Das Woodstock gilt neben seiner musikalischen Bedeutung für die Hippie-Bewegung auch "als Meilenstein der Festivalgeschichte und als Ur-Festival der Rock'n'Roll-Geschichte" wie festivalhopper.de es formuliert. Der Spiegel bezeichnete das Album Deja Vu sogar als "Soundtrack der sogenannten Woodstock-Generation". Bei solch einer aktuellen Rezeption scheint es fast schon vorprogrammiert, dass Deja Vu zu seiner Zeit von der Musikpresse, wie eigentlich immer bei heutigen Klassikern, eher verhalten aufgenommen wurde. Heute darf es sich über den Platz 147 der Liste der "500 besten Alben aller Zeiten" freuen – völlig zurecht.

9.5 / 10

Alle Songs des Albums von 'worst to best'

10. "Teach Your Children"
Graham Nash's Teach Your Children gilt als einer der essenziellen Songs des Albums. Außer den zeitlosen Lyrics gibt es jedoch nichts, was mich an diesem Song fesselt – einfach nicht mein Fall.

09. "4 + 20"
Dies ist ein Song von Steven Stills und wohl der unscheinbarste Titel von Deja Vu. 4 + 20 erweckt bei mir immer den Anschein eines Interludes, eines ruhigen Zwischenspiels. Bei 4 + 20 handelt es sich also um einen Album-Song, den man einzeln eher nicht auflegen würde.

08. "Our House"
Our House ist der poppigste Song von Deja Vu. Die romantischen, an Psychedelic-Rock erinnernden Lyrics werden fantastisch von der süßlichen Stimme Graham Nash's eingefangen, der Our House inspiriert von seinem Zusammenleben mit Joni Mitchell schrieb.

07. "Everybody I Love You"
Der Closing-Track zu Deja Vu gehört zu den roher klingenden Songs des Albums. Everybody I Love You beginnt zwar mit rockigen Akkorden und vorwärts gerichteten Vocal-Harmonien, öffnet sich jedoch nach einem Solo zum berührenden Chorus mit der einprägsamen, titelgebenden Zeile und dazwischen fast souligen Vocals.

06. "Helpless"

Helpless ist ein unverkennbarer Neil Young-Song, geprägt von dessen Stimme und seinem Stil. Besonders das an eine Geige erinnernde Solo am Anfang sticht für mich immer heraus. Young komponierte Helpless ursprünglich mit seiner anderen Band Crazy Horse, wurde jedoch von Crosby, Stills und Nash davon überzeugt, dass der Song besser zu ihrem gemeinsamen Projekt passe. Daher rührt vermutlich auch das einzigartige Feeling von Helpless in diesem (Album-)Kontext. Nichtsdestotrotz ist Helpless ein essenzielles Stück von Deja Vu.

05. "Woodstock"

Das Joni Mitchell-Cover Woodstock gehört, wie der Name schon suggeriert, zu den rockigsten Nummern des Albums und war vor Jahren mein Lieblingssong von Deja Vu. Das hat sich zwar mittlerweile geändert, trotzdem bleibt Woodstock eines meiner Highlights des Albums.

04. "Deja Vu"

Von dem etwas weirden Intro des Titeltracks einmal abgesehen, ist Deja Vu auf jeden Fall eine der progressivsten Kompositionen des Albums – sowohl im Sinne des Progressive-Rock-Genres, als auch im Sinne der Fortschrittlichkeit. Jenes Intro war es auch, dass mich früher davon abhielt, Deja Vu so zu schätzen, wie ich es jetzt tue. Den Gesang von David Crosby, der definitiv der beste Sänger aus dem Quartett für mich ist, mochte ich aber schon damals. Genau wie einige dieser ikonischen, teilweise kanonischen Vocal-Harmonien, die man z.B. bei Porcupine Tree und Steven Wilson wiederfinden kann.

03. "Carry On"

Der Deja Vu-Opener Carry On erfüllt mich mit nostalgisches Gefühlen und einem optimistischen Tatendrang, wie es keinem anderen Song auf Deja Vu gelingt. Es ist ein energetischer Einstieg in das Album, indem die Unisono-Vocals der vier Bandmitglieder im Mittelpunkt stehen, aus denen sich im Refrain schließlich Neil Young's Stimme erhebt – ein Gänshaut-Moment!

02. "Almost Cut My Hair"

Almost Cut My Hair ist ein weiterer Song von David Crosby, in dem dieser, inmitten großartiger Gitarrenparts, seine Stimme beeindruckend zur Schau stellt, wie sie den skurillen, aber irgendwie genialen Text inszeniert – ein wahnsinnig guter und irgendwie unterschätzter Track!

01. "Country Girl"

...und auf Platz 1 findet sich das Country Girl-Medley, das aufgrund des einheitlichen Sounds und des teilübergreifenden Spannungsbogens überhaupt nicht wie ein Medley anmutet. Gerade dies macht es als Song und als Medley aber so gut, gar zu einem der besten Medleys der Musikgeschichte. Country Girl wurde fast ausschießlich von Neil Young geschrieben, was beweist, welch eine Bereicherung er für das Trio Crosby, Stills and Nash war. Tatsächlich hat er die individuellen Songfragmente sogar einzeln komponiert, was es umso beeindruckender macht, wie sie miteinander funktionieren.
Country Girl ist ein geniale Achterbahnfahrt in gerade einmal 5:13 Minuten. Es ist das Epos von Deja Vu.