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Album-Review: Black Country, New Road – Ants From Up There

Unter stürmischem Beifall von Musikkritikern und -hörern und mit dem Abgang ihres Lead-Sängers und Songwriters Isaac Wood haben Black Country, New Road im Februar 2022 ihr zweites Album veröffentlicht. Es mag nicht ihr letztes gewesen sein, aber es ist sicherlich erst einmal ihr letztes mit Isaac Wood, der so ein bisschen Herz und Seele und natürlich Schlüsselkomponente des Sounds der britischen Studentenband war.

Black Country, New Road (kurz: BC, NR) sind eine sechs-, ehemals siebenköpfige Truppe, die erst voriges Jahr ihr Debütalbum For the first time herausgebracht haben. Schon dieses Werk erntete viele lobende Worte und brachte BC, NR an die vorderste Front der britischen Post-Rock-Invasion, zu der man unter anderem auch black midi zählt. Wo For the first time mit einer paranoiden Mischung aus chaotischen Instrumentationen und Spoken-Word-Passagen aufwartet, ist die neue Scheibe Ants From Up There dynamischer mit vielen ruhigen Stücken und Sektionen. Isaac Wood singt richtig und seine Texte sind persönlich und unfassbar tragisch. Wer sich Ants From Up There anhört, der sollte keinen Progressive-Rock wie auf black midis letztem Album Cavalcade erwarten, sondern tief berührenden, theatralischen Kammer-Pop.

Für mich hat es eine Weile gedauert Ants From Up There zu verstehen. Als ich die Singles das erste Mal gehört habe, war ich enttäuscht angesichts der simplen, irgendwie amateurhaft klingenden Aufnahme und Production, auch wenn ich den Titel Concorde schon damals recht gut fand. Ich hatte eben etwas ganz anderes erwartet, als eine Gruppe von Kommilitonen, die live ihr klassizistisches, extrovertiertes, aber depressives Konzeptalbum aufgenommen haben. Außerdem war Isaac Woods Stimme und seine Art zu performen irritierend für mich. 
Mit dem Erscheinen des kompletten Albums und den unfassbaren Reviews habe ich mich dann dazu entschieden Black Country, New Road noch eine weitere Chance zu geben – und siehe da, ich konnte mich mit Ants From Up There anfreunden. Heute mag ich die Songs mit jedem Hören mehr.


Song für Song durch "Ants From Up There"

Intro und Chaos Space Marine – eine Single, die ich bei meinem erwähnten ersten Hören nicht besonders mochte – eröffnen Ants From Up There mit viel Energie und werfen den Hörer geradewegs hinein in die furioseren Rock-Arrangements, die auf besondere und präsente Weise von Geige, Klavier und Saxophon untermalt werden, was abwechselnd an Jazz und klassischer Musik erinnert. Schon auf Chaos Space Marine zeigt sich die einzigartige Poesie von Isaac Wood, die BC, NR in Zukunft fehlen wird. Der Song bezieht sich stark auf das Tabletop-Kriegsspiel Warhammer 40k, indem die Chaos Space Marines eine Fraktion darstellen. Wood singt davon, wie er sich dieser Fraktion anschließt und England hinter sich lässt. Chaos Space Marine ist aber nicht nur eine mögliche Liebeserklärung an das Spiel, sondern zeigt vor allem auf, dass Wood der Realität entflieht will, indem er sich einem Spiel zuwendet. Mit der Zeile In time, you will find / These things take up space and time erkennt er jedoch, wieviel reale Zeit ihn das Spielen von Warhammer 40k kostet. Also kommt er nach Hause (I'm coming home). Auf der Sinnebene: Er stellt sich der Wirklichkeit. Es ist der perfekte Opener für Ants From Up There, wie im Outro klar wird, wenn Isaac Wood gleich drei Referenzen zu später folgenden Titeln macht. 
Darunter ist der nächste Song Concorde, einer meiner Lieblinge des Albums und einer der traurigsten, wenn auch schönsten Titel. Concorde war das erste Überschall-Passagierflugzeug. Es stellt ein wiederkehrendes Bild auf Ants From Up There dar und wird erstmals in Chaos Space Marine erwähnt. Isaac Wood vergleicht hier eine wichtige Bezugsperson mit einem Concorde-Flugzeug, an das er, ein schneller Bergkletterer, versucht so nah wie möglich heranzukommen, obwohl man als einfacher Mensch natürlich nicht dazu in der Lage ist, mit einem Flugzeug mitzuhalten. Es ist unerreichbar. 

And you, like Concorde
I came, a gentle hill racer

I was breathless
Up on every mountain
J
ust to look for your light

Im sich langsam aufbauenden, aber nie explodierenden Bread Song, erfährt man mehr über diese Unerreichbarkeit. Die wichtige Bezugsperson, die sicherlich romantisch verknüpft mit Isaac Wood war, lebt in einer anderen Zeitzone. Während es für Wood Morgen ist, ist es für seine Liebe Abend (Okay, well, I just woke up [...] There's no way to save your evening now / Through the little phone that could).
Nach diesen zwei herzzreißenden, ruhigen Songs nimmt Ants From Up There mit Good Will Hunting wieder etwas an Momentum auf. Nachdem zuletzt die Probleme in Isaac Woods romantischer Beziehung angeschnitten wurden, wird auf diesem Song ­– ironischerweise mit etwas leichterer, optimistischerer Instrumentierung – klar gemacht, dass seine Bezugsperson bereits weg ist ("Moving to Berlin for a little while" / "Tryna find something to hold on to").
Haldern beginnt jazzy mit ruhiger Gitarre und einem wunderschönen Saxophon- und Klavier-Lead. Wood macht hier sogar Anspielungen auf einen Heiratsantrag und seine Versuche die einseitige Beziehung am Leben zu erhalten (We formed a ring around your home / To stop your body leaving / And you rose out through the ceiling). 

Mit Mark's Theme, einem kurzen, hoffnungsvollen, instrumentellen Interlude, dessen Titel darauf verweist, dass Ants From Up There ein bisschen wie der Soundtrack zu einem Film zu verstehen ist, beginnt nun die zweiten Hälfte des Albums. Es sind noch drei Songs übrig, die allesamt Überlänge haben.
The Place Where He Inserted the Blade ist mein Lieblingstrack von Ants From Up There. Es ist das Stück, dessen Aufbau hin zu einer Klimax am befriedigsten ist. Das Klavierthema zu Anfang ist sofort ansprechend und für den Refrain öffnet sich die Musik auf wunderschöne Weise; ein Effekt, der immer stärker wird. Isaac Wood kommt mit seinem Gesang aus sich heraus. Im Text findet teilweise ein Perspektivwechsel statt und Wood dichtet aus der Sicht der Person, mit der er in einer romantischen Beziehung war. Er geht außerdem in der Zeit zurück und beschreibt, wie es war, während die beiden zusammen und eine Einheit waren, auch wenn sich hier bereits im Untergrund einige möglicherweise problematische Dinge zeigen, die zu der schließlichen Trennung beigetragen haben könnten. The Place Where He Inserted the Blade ist nicht zwingend ein fröhlicher Song, aber zusammen mit Chaos Space Marine ist die Atmosphäre hier doch am leichtlebigsten, wie die Da-Da-Backing-Vocals am Schluss suggerieren.

Die letzte beiden Tracks wurden zusammen mit Haldern noch vor dem Debütalbum For the First Time geschrieben und dienten vermutlich als Basis für das gesamte Konzept und die musikalische Richtung von Ants From Up There. Das vorab ausgekoppelte Snow Globes, indem Wood sich mit der historischen Figur Henry VIII beschäftigt, braucht drei Minuten eines reflektiven Intros um zu den ersten Vocals zu kommen. Snow Globes entwickelt sich zu einem chaotischen und doch noch recht geordneten Höhepunkt mit stürmischen Drums.
Das Finale bildet Basketball Shoes, ein zwölfeinhalb-minütiges, dreitiliges Epos von einem Fan-Favoriten. Im dritten Teil des Stückes spürt man wie nirgendwo sonst auf Ants From Up There die Leidenschaft von Black Country, New Road zur Musik. Die Klimax wird sogar begleitet von ekstatischen Schreien, während Isaac Wood die zwei beherrschenden Themen des Albums – das eine wurde vor allem durch seinen Austritt angeheizt – dramatisch auf den Punkt bringt: Oh, your generous loan to me, your crippling interest. 


Fazit

Ants From Up There endet nach einer Stunde Laufzeit und ich denke diese Länge merkt man dem Album an, besonders da alle langen Stücke am Ende der Tracklist aneinandergereiht sind. So wird Ants From Up There an einigen Stellen etwas eintönig, trotz großartigem Songwriting und eigenwilliger Arrangements. Für ein Konzeptalbum, auf dem kein Song schwach und die Tracklist bestmöglich zusammengestellt ist, ist das jedoch verzeihlich. Black Country, New Road machen nämlich so vieles richtig mit Ants From Up There und das plötzliche Austreten von Isaac Wood lässt die Texte und das Ende einer so vielversprechenden Bandkonstellation umso tragischer werden.
So ganz möchte ich persönlich mich dem Hype um das Album trotzdem nicht anschließen. So bewegend die depressiven Momente und seltenen Schimmer der Hoffnung auch sein mögen, so theatralisch und dramatisch kommen Woods Performances und die grellen orchestralen Elemente manchmal daher. Ja manchmal, da ist es einfach ein kleines bisschen zu viel für meinen Geschmack. Das soll jedoch keinesfalls mein Urteil über Ants From Up There zu weit herunterziehen, denn es steckt so viel in diesem Werk. Ants From Up There ist definitiv ein Muss für jeden Musikbegeisterten, der etwas mit experimentellerem Rock anfangen kann.

9 / 10

Anspieltipps: "Concorde"; "Good Will Hunting"
weitere Highlights: "The Place Where He Inserted the Blade"; "Haldern"


Diskographie-Überblick

For the first time (2021): 8.5 / 10
Anspieltipps: "Athens, France"