Aurel's Posts
Album-Review: Joji – Nectar
George Miller aka Joji hat nun schon seit 2018 seine Karriere als Filthy Frank abgeschlossen, widmete sich dem Schreiben und Schaffen von Musik und scheint immer mehr Anerkennung zu gewinnen. Die meisten Fans, die ihn durch sein bizarres YouTube-Projekt begleitet haben, unterstützen ihn auch weiterhin und auch ich sehe, wenn ich mir die Musik von Joji anhöre, eine komplett andere Person als in früheren Projekten.
George Miller probierte 2016, noch während seines großen Booms mit Filthy Frank, schon an der Musik, als er vereinzelte Demos, Ideen und Songs, mit Lo-Fi-Beats und wundervollen Klavierklängen, auf dem Album Chloe Burbank herausbrachte. Ein Jahr später veröffentlichte er unter dem Namen Joji seine erste EP In Tongues, welche auch bekannte Tracks, wie Will He, Demons und Bitter Fuck enthielt. 2018 kamen dann die beiden warscheinlich bekanntesten Singles YEAH RIGHT und SLOW DANCING IN THE DARK, welche Joji schließlich seinen verdienten Push gaben und ihm zur Berühmtheit verhalfen. Sein Debüt-Album Ballads 1 veröffentlichte er daraufhin am 26. Oktober 2018.
Song bei Song durch "Nectar"
Joji bringt, nach der ersten Single Sanctuary und einem Jahr Wartezeit, sein zweites Album auf den Markt, und erschafft ein, wie der Name schon verrät, fließendes, sanftes und volles Werk.
Nectar beginnt mit einem kalt klingenden, dem halligen Klang nach zu beurteilen in einem großen, alten Salon stehenden Klavier; dazu innige Vocals und kräftige Drums. Zur Abrundung gewinnt Ew eine wundersam ausschmückende Streichersektion. Keinesfalls gibt einem der Song das entsprechende Gefühl, nach welchem er betitelt ist. Ew ist alles andere als ekelerregend oder furchtbar, sondern lässt dich deine inneren Gefühle verspüren. Ein überraschend sanfter Opener für Nectar.
Ähnlich ist auch MODUS, wo sich langsam ein Raum in dem Kopf des Hörers aufzubauen scheint, der durch Klavier, Streicher eine (un-)heimliche Atmosphäre zu erzeugen scheint. Inmitten der Streichersektion lässt sich ein gewisser, rückwärts abgespielter Sound vernehmen, der ähnlich wie eine Harfe klingt; ganz kurz und fein. Es klingt stark nach einem Sound, den Radiohead in A Moon Shaped Pool1 benutzt hätten. Ich war sofort begeistert, als ich dieselben Gefühle in mir gefunden habe, die auch da sind, wenn A Moon Shaped Pool läuft. Dieser harvenähnliche Sound leitet einen typisch gebauten Hip-Hop Beat ein und erzeugt eine für Joji typisch dunkle Stimmung. Der Refrain ist ein gelungenes Stück Kunst, da er alle bereits gehörten Teile von MODUS zusammenführt und wunderschöne mehrstimmigkeiten in den Vocals herrschen.
1: Vergleiche mit Glass Eyes und Decks Dark von Radiohead
Tick Tock ist ein nicht allzu auffäliger Song, da er aus simplen Samples und starkem Bass besteht und nach diesem genialen Opening von Nectar eher einem Filler-Song gleicht. Mir gefallen, die Harmonien im Refrain und das konstante Sample, welches aus japanischen Instumenten besteht. Nur passiert hier leider zu wenig und es sind auch nur 2 Minuten die Tick Tock auf dem Album einnimt, was zwar für das Hip-Hop-Genre üblicher, aber trotzdem Potential verschenkend ist.
Es setzten Drums, eine volle und geile Bassline sowie durch Delay verstärkte Gitarrenakkorde ein. Ich war sehr eigenommen von dem Sound des Intros zu Daylight, in welchem Joji in Zusammenarbeit mit Diplo einen Deep-Cut für Nectar geschrieben hat. Der Refrain lässt mich mich in ein Cabrio träumen, entgegen der untergehenden Sonne fahrend. Im Chorus sind nämlich schöne Streicher-Synths zu hören, die mich an Local Natives oder Foals erinnern. Hier lässt sich der starke Einfluss von Pop vernehmen und gerade als ich nach dem zweiten Refrain erwartungsvoll weiterhörte, endete der Song und ließ mich stehen. Auch hier ist es schade, dass es Daylight an Länge mangelt; er hat keine wirklich Zeit sich vollends entfalten zu können und scheint einfach nur für's Radio gemacht zu sein.
In einer ähnlich ruhigen Stimmung führt uns Joji in Upgrade weiter durch Nectar und leitet in einen starken Teil des Albums ein...
Joji gewann mit Gimme Love die Herzen neuer Hörer und führte sie in seine Musik ein. Grundlegend für diesen Song ist der konstante Breakbeat mit schnellen Drums und wummerndem Bass, welcher Gimme Love durch Strophe und einprägsamen Refrain führt, wo Gimme, gimme love when I'm gone die Ohren der Hörer erfüllt. Abrubt bricht diese fließende Stimmung in eine sich immer weiter aufbauende Klavierballade. Streicher füllen den Song und leiten ihn zum Höhepunkt, in welchem Joji die Worte: I can't let you go singt und alle Instrumente eine Klangexplosion erschaffen und Gimme Love mit voller Einfühlsamkeit endet.
Run war für mich eine völlige Umdrehung dessen, was ich bisher von Joji hören durfte. Man kannte ähnliche Substanzen des Sounds, bereits aus WANTED U, wo auch Samples mit verzerrten Gitarrenakkorden zu hören waren und ein Solo die Stimmung hob und ausschmückte. Run ist ein weiterer Schritt in eine wundervoll offene Richtung, die Joji ermöglicht andere Wege hinsichtlich verschiedenster Stile einzuschlagen. Die Wucht, die Run in dieses Album schlägt ist verheerend, denn sie beeinflusst die Magie von Nectar deutlich. Als wäre der blutende Refrain, der die Ohren von beiden Seiten mit vollem Bass und wunderschöner Melodie füllt, nicht genug, wird aus heiterem Himmel ein Queen-esques Gitarrensolo abgefeuert und bringt den Song mit anhaltender Gänsehaut zum Schweigen.
Nach der offenen Kinnlade, die Run hervorbrachte kommt ein persönlicher Favorit des Albums. Ganz simpel erreicht mich Joji mit einer absolut warhaftigen und intimen Dichtung der Texte; bepackt mit einem euphorischen Refrain. Die Liebe, die Joji mit diesem Song rüberbringt ist ein Zeichen von purer Offenheit seines Wesens. Viel schlimmes widerfuhr ihm und prägte alles was ihm letztendlich aus den Fingern, seinem Kopf, seinem Herzen und dem Mund kam; Schmerz. Ohne viele weitere Etappen oder entwicklungen von Sanctuary, werden die Gefühle von Joji offen dargelegt.
High Hopes ist mit einem entspannten Sample unterlegt und der Verse beinhaltet schöne Zeilen, nur ist die Melodie im Refrain einfach nicht einprägsam auf Dauer. Es wird versucht die Stimmung mit Streichern im Refrain aufzubessern nur gelingt es nicht. High Hopes bleibt auch mit dem "0815-Feature" von Omar Apollo ein langweiliger Track, welcher hätte weggelassen werden können.
NITROUS besitzt den typischen asiatischen Hip-Hop flair, welcher auf vielen 88Rising Künstlern wiederzuerkennen ist und scheint diesen relativ gut auszunutzen und ist von einem eingängigen etwas tanzbaren Beat besetzt. Es ist leider keine weitere Entwicklung oder irgendein bestimmter Reiz vorhanden, der den Hörer dazu anregen könnte NITROUS nochmal zu hören.
Es wird leider nicht besser, da Pretty Boy, dieselbe Masche abzieht und mit dem Refrain startet, der eine halbwegs angenehme Joji-esque Stimmung erzeugt. Doch dann hört man bereits die ersten weirden Sounds unterlegt mit einem primitiven Hip-Hop-typischen: "Ya, Ya, Ya". Außerdem folgt hiernach ein Feature von Lil Yachty, welches auch von keinerlei Entwicklung geprägt ist und den Song für mich nicht hörbar macht.
Normal People ist für mich ein kleiner Downer, da die Stimmung sehr seicht und beruhigend daherkommt, inbesondere nach den Stilunterschieden, die man in den letzten drei Songs gehört hat. Das Feature von rei brown bleibt auch vom Rap-Stil der Entspanntheit treu. Normal People entspricht vollends dem Stile Jojis, da Melodie und Beat melancholisch miteinander zusammenarbeiten; ein für mich sehr gelungener Song, der Nectar gut tut und der insgesamten Inkonstanz des Albums einen runden Schliff gibt.
Als ich das erste Mal durch die Tracklist scrollte, ist mir direkt das Feature von BENEE ins Auge gelangt und ich bin aus allen Wolken gefangen. Ich lernte BENEE durch ihren sehr erfolgreichen Song Supalonely kennen, wo auch Gus Dapperton ein Feature hatte. Afterthought erhellt die Stimmung von Nectar und beweist, dass alle Songs nach Sanctuary einfach hätten weggelassen werden können und es gäbe auch so einen seichten Übergang in Mr. Hollywood. Afterthought ist ein kleiner Einblick in eine Zweisamkeit, die gerade auf einer Parkbank oder einer Schaukel genossen wird. Man kann ein Klavier vernehmen, welches dem Hörer beruhigende Gefühle gibt, auch BENEE übernimmt ab der Hälfte des Songs die Ruhe und macht den Song umso schöner. Wie auch der Text sagt, soll man sich glücklich schätzen und an das Paradies denken, welches einem tagtäglich gegeben ist.
Es findet ein Übergang des Sounds statt, da auch in Mr. Hollywood ein Klavier zu hören ist und die Melodien eine ganz einfache Struktur haben. Es ist kein schlechter Song, da der Chorus wunderbar mit den Elementen arbeitet und die Stimmung ausschmückt nur weiß ich nicht viel darüber zu sagen, da nicht viel weiteres passiert und es sich anfühlt als müsse Mr. Hollywood das Album irgendwo füllen, damit es ja nicht an Details fehlt.
Ein Bass-Synth spielt durchgehende 16tel und somit baut sich langsam eine Schnelle auf, die sich dann in einen schnellen Beat entwickeln, welcher mir im Ohr geblieben ist nur sind andere Teile von 777 nicht einprägsam genug. Ähnlich ist dies auch bei Reanimator, wo Yves Tumor ein Feature besitzt. Die Stimmungen ist komisch und auch irgendwo unangenehm. Reanimator wirkt so dunkel im Gegensatz zum "Konzept" des Albums und versucht einen Kontrast zu bilden. Außerdem beginnt Reanimator erst zum Ende hin interressant zu werden, wo das Feature mit einem Beat einsetzt. Doch dann endet es und ich bekomme garnicht mit, was noch hätte passieren können.
Like You Do ist ein Versuch die Atmosphäre der A-Seite hervorzurufen, die in Ew und Modus aufkamen. Es wird das Ende des Albums angekündigt, indem der Refrain wirklich schön und herzerreißend ist. Eine weiter Klavierballade in der Sammlung von Nectar. Komischerweise wird das Klavier am Ende abgeschnitten. Wahrscheinlich war dies gewollt, nur rief es in mir den Gedanken von einem eventuellen Produktionsfehler auf, welcher dann aber wieder schnell verschwand, da der Abbruch ein sehr natürlicher Aspekt des Lebens ist und wir ohne ihn nicht weiter leben können.
Your Man gehört zu einem meiner Favoriten, da sich der Beat mit der Melodie und den schönen Synth-Chords vermischt. Der Song wirkt mit seinen wenigen Zeilen im Text etwas zu eingängig und entwickelt sich zu wenig für das, was er schließlich werden wollte. Es mangelt auch hier an Länge und Zeit sich vollends zu entwickeln. Außerdem gab es die Möglichkeit weiteren Text einzubauen, um nicht die Gefühle eines Remixes zu bekommen.
Nectar ist das Produkt von Liebe und dem daraus gewonnenem Schmerz. Mich hat diese Fülle der ersten Seite komplett umgehauen, da nahezu jeder Song bis einschließlich Sanctuary gut ist. Als ich mir die Tracklist ansah, wurde ich bereits bei der Songanzahl sehr skeptisch. Wie können 18 Songs konstant gut sein? Leider war dies nicht der Fall, denn bereits mit High Hopes schlägt Nectar einen völlig anderen Weg ein, als das Album vorher angedeutet hat. Von purem Herzschmerz zu langweiliger Gleichgültigkeit. Würde man nicht 18 2-1/2-minütige Songs haben, sondern manche Songs einfach komplett weglassen und hier und da vielleicht eine Variation einbauen, würde man, denke ich, den Sound und das Konzept für Nectar erreichen, welches Joji letztendlich erreichen wollte. Viele Songs wirken einfach wie Schnipsel, die entweder in letzter Minute noch raufgepackt wurden, oder, die einfachen keinen Zweck bringen und das Album nur füllen sollen.
Eine große Ernüchterung überfällt mich nach dem Ende des Albums, da viel Potenzial verschenkt wurde und die Verteilung der Songs ein Problem ist, welches die B-Seite von Nectar wie einen toten Arm hängen lässt.
6.5 / 10
Anspieltipps & Highlights: "Ew", "Modus", "Gimme Love", "Run", "Sanctuary"
Deep Cuts: "Daylight", "Afterthought", "Upgrade"
Nectar auf Spotify: https://open.spotify.com/album/5EzDhyNZuO7kuaABHwbBKX?si=5kJ70jNsS0O2vT4B26QthA
Nectar auf Apple Music: https://music.apple.com/de/album/nectar/1506574436
Auch enthalten in SLOTH-SOUNDs 2020 Release-Radar auf Spotify (klicke hier) und Apple Music (klicke hier).