Written by Oskar Vier
Published on 29.05.2021
50. Geburtstag des Folk-Rock-Klassikers des Quartetts aus David Crosby, Steven Stills, Graham Nash und Neil Young: "Deja Vu" gilt bis heute als eines der essenziellen Alben der 1970er und wird unter anderem als zentrales Album der Woodstock-Hippie-Bewegung bezeichnet. Ein Essay über das Vermächtnis von "Deja Vu", seine Vinyl- und Neuauflagen mitsamt meines Rankings aller Songs des Albums.
Ich war gerade fertig mit dem morgendlichen Zähneputzen, als die Nadel sich von meiner neuerworbenen, deutschen '80er-Pressung von Crosby, Stills, Nash & Youngs Deja Vu erhob. Everybody I Love You ist der einzige Song, der mich hier klangtechnisch nicht ganz überzeugen kann. Davon konnte ich im Badezimmer mit dem Surren der elektrischen Zahnbürste aber eh nicht so viel hören. Angesichts des 50. Geburtstags von Deja Vu fragen Sie sich jetzt vielleicht – oder auch nicht – warum ich nicht die 50th Anniversary 2021 Remastered Version des Album höre. Naja, CSNY waren leider nicht so nett eine einzelne Vinyl zu veröffentlichen. Um an eine Neupressung zu kommen, muss man sich gleich die Deluxe Version mit vier CDs (drei davon mit Bonus Material) für 70€ kaufen. Da habe ich dann doch lieber auf eBay Kleinanzeigen gestöbert und zwei Pressungen – eine aus den '70ern, eine aus den '80ern – für insgesamt 46€ erworben. Erstere Pressung klingt dynamischer und besteht aus hochwertigerem, schwererem Vinyl. Dafür übersteuern Songs wie Teach Your Children oder das Country Girl-Medley angesichts eines schlechten Vinyl-Masterings. Die '80er-Pressung aus leichterem Vinyl ist im Gegensatz glücklicherweise wie neu und von Carry On bis einschließlich Country Girl gut hörbar. Für den genannten Gesamtpreis, der 10€ Versandkosten bereits miteinschließt, eine sehr gute Bilanz.
Dass einige der Songs klangtechnisch nicht allzu sehr überzeugen können, liegt am Aufnahme- und Entstehungsprozess von Deja Vu. Das Album wurde auf Tour in verschiedenen Studios aufgenommen und so unterscheidet sich die Aufnahmequalität von Song zu Song. Das ist irgendwie Teil des Mythos und des Charmes des Folk-Rock-Klassikers und bleibt auch im 2021 Remaster erhalten. Diese Inkonstanz der Aufnahmequalität korreliert sehr schön mit der Verschiedentheit der Songs, die auf Deja Vu zusammenkommen. CSNY ist, wie der Name schon sagt, ein Quartett aus vier außerordentlichen Songwritern mit zwei großartigen Gitarristen. Daraus folgt, das der eine Titel aus der Feder der einen Mitglieder, der andere aus der Feder anderer Mitglieder stammt. Auf Almost Cut My Hair singt ausschließlich David Crosby die Lead-Vocals, auf Helpless ist es Neil Young. Trotzdem entsteht am Ende ein großartiges und großartig funktionierendes Werk, auf dem jeder individuelle Song perfekt ist. Bei dem Perfektionswahn der Bandmitglieder ist auch das kein Wunder. Für Deja Vu nahm das neuerlich um Neil Young ergänzte Trio etliche Takes auf, bis es allen passte und alle gemeinsam in Tränen ausbrachen angesichts ihres Schaffens.
Okay, zugegeben, ich persönlich finde Deja Vu dann doch nicht ganz so perfekt. Ich lasse einmal die Bombe platzen: Ich kann Teach Your Children nicht leiden. Dennoch sehe ich Deja Vu als eines der perfekt unperfekten Alben der Musikgeschichte an, denn Teach Your Children ist generell einer der beliebtesten und ikonischsten Titel auf diesem Werk. Also wird es wohl einfach nur mein Geschmack sein, der an dieser Stelle nicht ganz mitspielt. Man muss auch dazu erwähnen, dass wohl jeder seine eigenen Favoriten von Deja Vu hat, was nur umso mehr die Qualitäten des Albums unterstreichen dürfte.
50 Jahre hat dieser Klassiker nun also überdauert und bis heute gibt es viele Hörer, auch aus anderen Generationen, die Deja Vu weiterhin hochhalten. Ich bin der lebendige Beweis. Wenn ich mir Deja Vu jetzt zu Gemüte führe, kann ich die Anfänge des Progressive-Rock und seine modernen Ableger wie Porcupine Tree hören (Deja Vu). Ich höre poppigen und rockigen Psychedelic-Rock (Our House und Almost Cut My Hair), ein Medley (Country Girl) und Folk (Teach Your Children und Helpless). Mit dem Joni Mitchell-Cover Woodstock präsentieren CSNY außerdem eine Art Titeltrack zu der wichtigsten Hippie-Musik-Bewegung der USA, benannt und manifestiert im gleichnamigen Open-Air-Festival, auf dem unter anderem Jimi Hendrix, CCR, Joe Cocker, Janis Joplin, Santana und The Who auftraten. Das Woodstock gilt neben seiner musikalischen Bedeutung für die Hippie-Bewegung auch "als Meilenstein der Festivalgeschichte und als Ur-Festival der Rock'n'Roll-Geschichte" wie festivalhopper.de es formuliert. Der Spiegel bezeichnete das Album Deja Vu sogar als "Soundtrack der sogenannten Woodstock-Generation". Bei solch einer aktuellen Rezeption scheint es fast schon vorprogrammiert, dass Deja Vu zu seiner Zeit von der Musikpresse, wie eigentlich immer bei heutigen Klassikern, eher verhalten aufgenommen wurde. Heute darf es sich über den Platz 147 der Liste der "500 besten Alben aller Zeiten" freuen – völlig zurecht.