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Ein Jahr später: Fleet Foxes' "Shore"

Fleet Foxes' "Shore" ist jetzt ein Jahr alt. Anfang 2021 hatte ich für meine 6 Lieblingsalben des Jahres 2020 nur ein anderes Werk über Shore gestellt: "The Slow Rush" von Tame Impala. Heute muss ich, bei aller Liebe für dieses Album, aus der Erfahrung heraus anderer Meinung sein; zu "Shore" bin ich seit seinem Release viel öfter zurückgekehrt. 

Über 55 Stunden Spielzeit habe ich mit dem vierten Studioalbum der Fleet Foxes unter der Regie von Robin Pecknold zugebracht – und ich kann immer noch nicht genug kriegen. Shore bietet eben alles, was man sich wünschen kann. Es ist eine kohärente Zusammenstellung von 15 Songs, die alle unterschiedliche Qualitäten haben und trotzdem vom gleichen Soundkern zehren. Das Album lässt sich gut von vorne bis hinten durchhören, man kann aber auch einzelne Abschnitte herauspicken, auf die man gerade Lust hat. Da wäre die wunderschöne Einleitung mit Wading In Waist-High Water, gesungen von Uwade Akhare, in Sunblind, indem Pecknold seinen musikalischen Vorbildern Tribut zollt, zu Can I Believe You und Jara, die beide vor Energie und Einprägsamkeit nur so sprudeln. Die nächste Sequenz ist dann etwas melancholischer: Bei Featherweight handelt es sich um eine Reflektion über die persönlichen Schwierigkeiten durch die Corona-Pandemie, A Long Way Past the Past beschäftigt sich mit Vergangenheit und Gegenwart und For a Week or Two schickt sein lyrisches Ich auf eine einsame Reise durch wunderschöne, grüne Landschaften. Auf der letzten LP-Seite lässt Robin Pecknold dann seiner experimentellen Ader freien Lauf: Quiet Air / Gioia spielt mit Polyrhythmen, kanonischem Gesang und außergewöhnlichen Performances auf Klavier, Gitarre, Bass und Drums. Es folgt Going-to-the-Sun Road mit psychedelischem Keyboard, zentralen Bläsern und portugiesischem Gesang als Abschluss. Das Grande Finale Cradling Mother, Cradling Woman führt dann all dies zusammen. Streicher, Bläser und Gitarren spielen oftmals unisono für einen bombastischen, dichten Sound, der sich nur für Pecknold's Vocals einige Male auflöst. Der Titeltrack beendet Shore mit einigen unbeschreiblichen und spannenden Passagen, die aus dem anfänglich simplen, wenn auch synkopierten Piano-Rock hervorgehen. Was bei den ersten Hördurchgängen unfassbar aufregend, emotional zugänglich und manchmal schwierig zu verarbeiten war, ist für mich und viele Fans heute eine Art zu Hause geworden, dessen Inneneinrichtung nicht nur gemütlich, sondern immer noch spannend und bewundernswert ist.
Shore ist damit ein Album für die Ewigkeit geworden, wie es bis jetzt jedes einzelne Fleet Foxes-Album war. Es kombiniert dabei die Unmittelbarkeit des selbstbetitelten Debüts mit den introspektiven Texten von Helplessness Blues und der musikalischen Finesse von Crack-Up. Heraus kommt etwas Neues und trotzdem Typisches. In diesem Zuge bin ich extrem gespannt auf das nächste Fleet Foxes-Projekt, aber auch sehr zufrieden mit dem, was ich schon habe. Ich wünsche mir dies keinesfalls, aber Shore könnte genauso gut das letzte Album der Band sein. Es wäre ein passendes und erfüllendes Ende. 

Anspieltipps: "Sunblind"; "Can I Believe You"; "Going-to-the-Sun Road"