Zum Hauptinhalt springen

Essenzielle Alben: The Beatles – Revolver | 2022 Remix & Super Deluxe Version

"Revolver" gilt als radikalster Umbruch in der Entwicklung der Beatles zur bedeutendsten Band aller Zeiten, nachdem mit "Rubber Soul" der entscheidende Schritt in Richtung Experimentation und Psychedelik gemacht wurde. 

Einleitung

Unter der Aufsicht von Giles Martin, Sohn des Beatles-Produzenten und -Arrangeurs George Martin, wurden in den letzten Jahren, jeweils zum 50. Geburtstag, die späten Bealtes-Alben neu aufgelegt. In diesem Rahmen erhielten Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, das White Album, Abbey Road und Let It Be einen modernen Stereo-Remix. Oben drauf gab's Studio-Material aus der jeweiligen Phase, Box Sets und Co. Nach der Neuveröffentlichung von Let It Be richtete sich das Augenmerk der Beatles-Fans – und so auch das von Giles Martin – auf die früheren Werke, von denen nun, wenn auch ohne einen Anlass wie den 50. Geburtstag, eine Neuauflage zu Revolver vorliegt.

Ein technologischer Exkurs

Revolver gilt als radikalster Umbruch in der Entwicklung der Beatles zur bedeutendsten Band aller Zeiten, nachdem mit Rubber Soul der entscheidende Schritt in Richtung Experimentation und Psychedelik gemacht wurde. Zu keiner Zeit waren die Beatles der aktuellen Technik soweit voraus wie 1966 – und gerade deswegen war die Nachfrage nach einem Revolver-Remix so groß. Der Experimentierfreude der Beatles werden nämlich nach heutigen Standards vor allem der Stereo-Mix von 1966, auf dem auch das 2009 Remaster basiert, nicht gerecht – und Mono ist heute eben auch nicht mehr aktuell. Warum hat es also so lange gedauert, Revolver auf den neuesten Stand zu bringen?
Der Grund ist technischer Natur. Auf Revolver wurde noch eine 2 Track Tape Machine verwendet. D.h., dass mehrere Instrumente auf eine Spur, sprich ein Tape, gestapelt werden mussten, da nicht für jedes Instrument ein eigenes Tape zur Verfügung stand. Denn, wie der Name schon sagt, arbeitet die 2 Track Tape Machine mit genau zwei Spuren. Ab Sgt. Pepper's stand den Beatles eine 4 Track Tape Machine zur Verfügung. Hier existierten also bereits vier Spuren, die neu gemischt werden konnten. Um Revolver zu remixen, musste im Gegensatz erst eine Technologie her, mit der die einzelnen Instrumente, die untrennbar auf einer Spur waren, separiert werden können. Genau die wurde bei der Produktion der Let It Be-Dokumentation letztes Jahr entwickelt. Bei dieser revolutionären Technologie wird eine K.I. darauf trainiert, die einzelnen Instrumente anhand ihres Sounds auseinanderhalten zu können. Anschließend wird sie dazu eingesetzt die Instrumente voneinander zu trennen und einzelne Spuren aus ihnen zu machen, mit denen man dann einen neuen Mix erstellen kann. 
Die 2 Track Tape Machine und das noch nicht ausgereifte Verständnis für das Potenzial von Stereo haben in den '60ern dafür gesorgt, dass beim Mischen von Musik in Stereo einfach nur die Instrumente hart auf die linke oder rechte Seite geschoben wurden. Das klingt heute nicht mehr zeitgemäß und ist ein besonderes Hindernis beim Hören mit Kopfhörern, da die Ohren nicht daran gewöhnt sind und unangenehm belastet werden. Besonders in dieser Hinsicht dürfte der neue Remix ein Segen sein. Er macht Revolver endlich zugänglich für eine neue, jüngere Zielgruppe. 

Wie gut ist die Musik heute?

Technologische Details mal beiseite, warum sollte man ein über 50 Jahre altes Album heute überhaupt noch neuauflegen? Und ist die Musik selbst noch relevant? Das sind zwei wichtige Fragen, die sich einem vielleicht jetzt stellen. Erst einmal muss man natürlich sagen, dass es bei physischen Neuveröffentlichung auf Vinyl und CD von Klassikern um viel Geld geht. Das kann einem zuwider sein, als Fan sind die Neuauflagen aber auch Grund zur Freude – besonders im Falle von Revolver, denn musikalisch steht das Album über 50 Jahre später immer noch wie eine Eins. Die Songs gehen schnell ins Ohr, das Songwriting reicht von romantisch, über absurd bishin zu philosophisch und die die Instrumentals sind nach wie vor einzigartig. Es gibt starke indische Einflüsse und viel revolutionäre, aber songdienliche Experimentation, die auch heute noch verblüfft. Die rückwärtsabgespielten Gitarren-Soli in I'm Only Sleeping sind einfach großartig, Eleanor Rigby beinhaltet ein ikonisches Streicher-Arrangement, Got to Get You Into My Life's Bläser erinnern an die Musik der '20er und Tomorrow Never Knows kontrastiert das mit unidentifizierbaren psychedelischen Sounds, einem der besten Drum-Beats allerzeiten und den ersten Loops der Musikgeschichte. Woran es vor dem Remix gehapert hat, war eben nicht die Musik: Es war der Sound. Durch den Remix wird dieser dem Künstlerischen zum ersten Male in Stereo gerecht. 

Genug des Lobes

Doch es muss ein Aber folgen: Ich persönlich präferiere weiterhin den Stereo-Mix und den Mono-Mix für Kopfhörer. Letzterer wurde im Rahmen der Neuauflage jetzt erstmals auf den Streaming-Diensten veröffentlicht und stellt somit die dritte allgemein verfügbare Möglichkeit dar, sich Revolver zu Gemüte zu führen. Der Stereo-Master von 2009 kriegt immer viel Hass und Kritik ab, aber ich finde den gar nicht mal so schlecht. Na klar, der originale Stereo-Master ist bei weitem besser, aber darum geht es nicht wirklich. Ich meine vor allem, dass die harsch separierten Instrumente des Stereo-Mixes ihren ganz eigenen Charme haben. Mehr als das: Ich finde sogar, dass Revolver auf diese Weise am meisten Punch und Klarheit hat. Der Mono-Mix ist dann der Kompromiss zwischen dem Stereo-Mix und dem Stereo-Remix. Trotzdem ist der neue 2022er Stereo-Remix eine willkommene Ergänzung – vor allem für Leute, die bisher noch keine Berührungspunkte mit den Beatles hatten und einfach gute Musik auf modernem Sound- und Mixingniveau hören wollen.

Super Deluxe Version: Sessions

Zusammen mit dem Remix gibt es wie gewohnt einiges an Session-Outtakes für die ganz krassen Beatles-Fans, zu denen ich mich fast dazu zählen würde. Ich bin zwar ein Riesenfan, aber ich konnte mit den Sessions immer nicht so viel anfangen. Sie sind ein nettes Gimmick, aber nicht mehr als das. Zumeist hört man sie sich eh nur ein einziges Mal an. Dennoch möchte ich die Sessions für die Revolver Super Deluxe loben und einige kleine Highlights hervorheben.

1. Tomorrow Never Knows (Take 1)
Dieser Take ist super interessant im Vergleich zur fertigen Album-Version. Man hört zwar nicht, wie der Song ursprünglich komponiert, also z.B. auf welchem Instrument, aber dafür – und das ist eigentlich viel interessanter – die ersten Experimentationen mit Samples und Tape-Loops, die die Beatles für den Song gemacht haben. Auch Ringo's Drum-Beat ist noch ein ganz anderer. 

2. Got to Get You Into My Life (Second Version / Unnumbered Mix)
Bei diesem Take handelt es sich quasi um die Album-Version, nur ohne die Bläser. Dafür wird viel klarer, wie der Rest der Instrumentation aussieht. Außerdem kommen die Qualitäten des Liedes an sich besser zum Tragen.

3. Love You To (Take 1)
Love You To sticht auf dem Revolver-Album durch seine stark von indischer Musik inspirierter Instrumentation hervor. Das Instrumental wird von der Sitar dominiert. Im ersten Take hört man im Kontrast dazu nur George Harrison und seine Gitarre.

4. Rain (Take 5 / Actual Speed)
Zwar ist Rain kein Song vom Album Revolver, aber eine Single aus der Zeit, die eigentlich auf's Album gemusst hätte. Um dem Song sein Feeling zu geben, haben die Beatles das Instrumental in höherer Geschwindigkeit aufgenommen, um es danach zu verlangsamen. Wie der Name schon sagt beinhaltet dieser Sessions-Outtake das Instrumental in der Originalgeschwindigkeit. 

5. And Your Bird Can Sing (First Version / Take 2 / Giggling)
Mein Lieblingsstück auf den zwei Sessions-Discs: In diesem frühen Take von And Your Bird Can Sing hört man, wie John Lennon und Paul McCartney ihren Gesang nicht auf die Reihe kriegen und sich darüber schlapplachen.

6. Yellow Submarine (Songwriting Work Tape, Pt. 1)
Und zu guter Letzt empfehle ich diesen Outtake von Yellow Submarine. Es ist quasi John Lennon's erste Demo zu dem Song. In der berühmten Album-Version singt Ringo die Lead-Vocals. Doch der entscheidende Unterschied ist die Stimmung des Songs: Yellow Submarine hatte ursprünglich einen recht anderen Text und eine deutliche düsterere Atmosphäre.

Fazit

Die neu erschienene Revolver Super Deluxe ist wieder ein Siegeszug auf ganzer Linie. Der Stereo-Remix macht eines der besten Pop-Alben aller Zeiten endlich auch soundtechnisch zeitlos. Dazu bekommt man eine Umsetzung des Mono-Mixes von den originalen Master-Tapes und sehr coole Session-Outtakes.

10 / 10

  1. Taxman | 100
  2. Eleanor Rigby | 100
  3. I'm Only Sleeping | 100
  4. Love You To | 90
  5. Here, There and Everywhere | 100
  6. Yellow Submarine | 85
  7. She Said She Said | 100
  8. Good Day Sunshine | 90
  9. And Your Bird Can Sing | 95
  10. For No One | 95
  11. Doctor Robert | 90
  12. I Want to Tell You | 90
  13. Got to Get You Into My Life | 95
  14. Tomorrow Never Knows | 100