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2023: Meine 10 Lieblingsalben des Jahres bisher

Die Hälfte des Jahres ist vorbei und wie immer ist in dieser Zeit einiges an wirklich guter Musik erschienen. In diesem Beitrag stelle ich euch meine zehn Lieblingsalben 2023 bisher vor. Darüber hinaus gibt es noch ein paar Honorable Mentions, zu denen ich ebenfalls inspiriert war etwas zu schreiben.

Die Hälfte des Jahres ist vorbei und wie immer ist in dieser Zeit einiges an wirklich guter Musik erschienen. In diesem Beitrag stelle ich euch meine zehn Lieblingsalben 2023 bisher vor. Darüber hinaus gibt es noch ein paar Honorable Mentions, zu denen ich ebenfalls inspiriert war etwas zu schreiben. Diese sind also auch eine dringende Empfehlung. Wie immer solltet ihr dabei wissen, dass ich bei weitem nicht alle essenziellen Alben, die dieses Jahr erschienen sind, gehört habe (z.B. SCARING THE HOES von JPEGMAFIA & Danny Brown oder The Beggar von Swans). Ich denke aber, dass in dieser Sammlung an Alben auf jeden Fall einige der besten Releases des Jahre zu finden sind und bestimmt so gut wie jeder bei mindestens einem dieser Alben auf seine Kosten kommt. Lest und hört also gerne mal rein!

Bevor ihr das aber könnt, hier noch ein paar sehr gute Alben, über die ich nichts geschrieben habe, die aber trotzdem nicht unerwähnt bleiben sollen:

  • McKinley Dixon – "Beloved! Paradise! Jazz!?"
  • Model/Actriz – "Dogsbody"
  • Protomartyr - "Formal Growth In The Desert"
  • Petite Noir – "MotherFather"

Honorable Mention: Kelela – "RAVEN"

Erscheinungsdatum: 10. Februar
Genre: Alternative R&B / Breakbeat / Ambient Pop
slothsound-Rating: 7 / 10

Wenn ich mich bei einem Album in diesem Jahr vielleicht doch im Rating geirrt habe, dann ist es bei Kelelas RAVEN. RAVEN ist zwar sehr lang, satte 15 Songs bei einer Gesamtlaufzeit von über einer Stunde, als Ganzes fließt es aber ziemlich gut. Einige der Songs, besonders in der zweiten Hälfte, wie Foley, Holier, Sorbet oder Divorce, sind eben sehr langsam und wenig greifbar, was manchmal dazu führt, dass es etwas schwierig wird am Ball zu bleiben. Trotzdem beinhaltet RAVEN einige fantastische Highlights, schafft originelle und tief gehende Klanglandschaften und zementiert Kelelas Status als eine der talentiertesten Alternative R&B Singer-Songwriterinnen der Zeit.

  1. Washed Away | 80
  2. Happy Ending | 85
  3. Let It Go | 80
  4. On the Run | 85
  5. Missed Call | 80
  6. Closure | 70
  7. Contact | 85
  8. Fooley | 75
  9. Holier | 70
  10. Raven | 85
  11. Bruises | 80
  12. Sorbet | 70
  13. Divorce | 75
  14. Enough for Love | 85
  15. Far Away | 75

Honorable Mentions: King Krule – "Space Heavy"

Erscheinungsdatum: 9. Juni
Genre: Neo-Psychedelia / Indie Rock / Slowcore / Art Rock
slothsound-Rating: 8 / 10

Der Preis für den größten Tearjerker des Jahres geht an King Krules neues Album Space Heavy. Der Titel ist hier Programm: In diesem Album ist unglaublich viel space, also viel Atmosphäre und Subtilität und gleichzeitig viel heaviness. Die Themen und Texte wiegen schwer und so singt Archy Marshall, der Mann hinter dem Projekt, sie auch. Das schlägt sich natürlich in der Stimmung nieder. Zusammen mit der wundervollen instrumentellen Palette aus psychedelischen E-Gitarren, jazzigem Bass sowie Saxophon und Streichern rührt einen das öfter mal zu Tränen. Dabei wird es glatt zur Nebensache, dass die Songs nicht unbedingt einprägsam und klar auseinanderzuhalten sind.

  1. Flimsier | 85
  2. Pink Shell | 75
  3. Seaforth | 85
  4. That Is My Life, That Is Yours | 80
  5. Tortoise of Independency | 70
  6. Empty Stomach Space Cadet | 75
  7. Flimsy: NR
  8. Hamburgerphobia | 75
  9. From the Swamp | 75
  10. Seagirl | 80
  11. Our Vacuum | 75
  12. Space Heavy | 80
  13. When Vanishing | 80
  14. If Only It Was Warmth | 80
  15. Wednesday Overcast | 75

Honorable Mention: Yves Tumor – "Praise A Lord Who Chews But Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds)"

Erscheinungsdatum: 17. März
Genre: Art-Rock
slothsound-Rating: 8 / 10

Die queere Art-Rock Ikone Yves Tumor kehrt mit einem der progressivsten Rock-Sounds des Jahres zurück. Das Album mit dem eingängigen Titel Praise A Lord Who Chews But Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds) ist irgendwo zwischen Neo-Psychedelia, Electro-Pop, Post-Punk, Gothic und Glam-Rock zu verorten. Genau festnageln lassen sich diese Einflüsse aber nicht, denn Yves Tumors Musik zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie ganz unprätentiös und unaufwändig die Grenzen von Rock und Pop auf eine ganz eigene Art und Weise auslotet. Mitunter sind die Songs also ziemlich simpel und doch, unter anderem durch die Production, sehr einzigartig. Neben den Hits God Is a Circle, Lovely Sewer, Heaven Surrounds Us Like a Hood, Echolalia und Ebony Eye finden sich aber auch Misses auf Hot Between Worlds. Yves Tumors expressive Attitude geht auf Meteora Blues zum Beispiel zwischen kitschigen Akustik-Gitarren und einem brachialen Chorus-Riff unter, während sie auf In Spite of War ein bisschen zu sehr in Richtung weniger geschmackvollem Pop-Punk geht. Trotz einiger Qualitätsschwankungen bleibt Praise A Lord Who Chews But Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds) jedoch eines der einprägsamsten Alben des Jahres bisher, zusammengehalten von der Ästhetik Yves Tumor.

  1. God Is a Circle85
  2. Lovely Sewer 90
  3. Meteora Blues | 75
  4. Interlude | NR
  5. Parody | 70
  6. Heaven Surrounds Us Like a Hood | 90
  7. Operator | 75
  8. In Spite of War | 70
  9. Echolalia80
  10. Fear Evil Like Fire | 80
  11. Purified by the Fire80
  12. Ebony Eye 85

10. Susanne Sundfør – "blómi"

Erscheinungsdatum: 28. April
Genre: Singer-Songwriter / Contemporary Folk / Art Pop
slothsound-Rating: 8 / 10

Die norwegische Singer-Songwriterin Susanne Sundfør präsentiert mit blómi das bisher beste Folk-Album des Jahres. Es ist ein luftiges, romantisches, naturalistisches und natürliches Album, auf dem man überall die Energie ihres Heimatlandes fühlt. Das Album-Cover gibt blómi zusätzlich eine Art altertümlich-melancholischen Anstrich, als würde sich die Künstlerin nach einem einfacheren, ländlichen Leben sehnen und dieses romantisieren. (Tatsächlich, heißt es, ehrt Sundfør auf blómi ihren Vater und ihren Großvater.) Das passt zu den pastellenen Instrumentals, die voller Details sind. Piano ist das dominierende Instrument, doch es sind auch Synthesizer, Saxophon, Streicher, Vogelgezwitscher, Perkussionselemente und selbstverständlich auch die klassische Rockaufstellung zu hören. Was das Album aber von vielen anderen Folk-Projekten unterscheidet, ist Sundførs Stimme und ihr Gespür für Melodie und Harmonien. Da ist es auch verzeihlich, dass Intro- und Outrosong kaum mehr als Prelude und Postlude zum Album sind. Der einzige signifikante Fehltritt ist der experimentelle Titel Ṣānnu Yārru Lī, dessen abstrakt-repetitives Instrumental und deutsche Spoken-Word Vocals recht schnell alt werden. Wer magischen, friedlichen, zugänglichen und gleichzeitig künstlerischen Folk sucht, ist bei blómi von Susanne Sundfør dennoch absolut richtig.

  1. Orð Vǫlu | 75
  2. Ashera’s Song | 85
  3. Blómi: 90
  4. Rūnā: 90
  5. Fare Thee Well | 85
  6. Leikara Ljóð | 85
  7. Alyosha | 90
  8. Ṣānnu Yārru Lī | 55
  9. Náttsǫngr | 85
  10. Orð Hjartans | 70

9. shame – "Food for Worms"

Erscheinungsdatum: 24. Februar
Genre: Post-Punk / Art Punk / Indie Rock
slothsound-Rating: 8 / 10

Dieses Jahr war das Jahr der Würmer – zumindest für eine gewisse Londoner Post-Punk Szene. Warum? Auf dieser Liste tauchen zwei Bands aus eben jenem Umfeld auf, deren Albentitel mit Würmern zu tun haben. Die eine ist shame. Ihr Album Food for Worms ist ein berührendes, wenn auch stilistisch relativ konventionelles Post-Punk Werk über Freundschaft. Zwar hängen die Songs nicht zwingend zusammen, ein gewisses Konzept kann man wegen dieses durchlaufenden Motives aber schon attestieren. Gerade weil die Instrumentals an sich nicht unbedingt revolutionär im Vergleich mit den zeitgenössischen Bands sind, stützt sich Food for Worms besonders auf die Gefühle, die es transportieren will. Das klappt. Die Songs sind ausnahmslos ziemlich stark und die Punkklimaxen und hymnischen Refrains mit Groupvocals hauen ordentlich rein. Gleichzeitig erforschen shame auf, wie Pitchforks Zach Schonfeld sagt, eher Bob Dylan-esque Art und Weise die verschiedenen, sprich positiven und negativen Seiten von Freundschaft. Es geht darum zu akzeptieren, dass Freunde nicht immer ihr bestes Selbst sind und nicht immer so sein können, wie man sich das vorstellt (Fingers of Steel). Dass sie sich verändern können (Different Person). Dass sie mit äußeren Einflüssen und ihren eigenen Dingen zu kämpfen haben (Adderall). Der finale Song All the People fasst das alles weniger zusammen, als dass er die letzte und wichtigste Message formuliert: All the people that you're gonna meet, don't you throw it all away, because you can't love yourself

  1. Fingers of Steel | 85
  2. Six-Pack | 80
  3. Yankees | 80
  4. Alibis | 75
  5. Adderall | 90
  6. Orchid | 90
  7. The Fall of Paul | 75
  8. Burning by Design | 80
  9. Different Person | 85
  10. All the People | 85

8. Queens of the Stone Age – "In Times New Roman..."

Erscheinungsdatum: 16. Juni
Genre: Hard Rock / Alternative Rock / Robot Rock
slothsound-Rating: 8 / 10

In Times New Roman... war mein meist erwartetes Album des Jahres. Wie das eben so ist, wenn einer der Lieblingsinterpreten ein neues Album veröffentlicht. Vor allem, wenn die entsprechende Band sehr unregelmäßig Musik rausbringt und doch schon relativ "alt" ist. In den '90ern und 2000ern haben die Queens of the Stone Age den Desert Rock Begriff geprägt und sind zu einer der renommiertesten Alternative Rock-Bands gewachsen. In 2013 haben sie diesen Status nochmal zementiert – und zwar mit dem Meisterwerk ...Like Clockwork. Der Nachfolger Villains (2017) war dann wieder kontroverser. In der Zeit zwischen Villains und In Times New Roman... hat sich einiges verändert für Frontmann Josh Homme. Während er auf Villains die Trennung von seiner Frau Brody Dalle noch auf positive Weise verarbeitet hatte (The Way You Used To Do), beinhaltet In Times New Roman... sogar einen Disstrack gegen sie (Paper Machete, eigentlich auch Obscenery und Sicily). Was ist also passiert? Naja, nach ca. einem Jahr erfolgreichen Co-Parentings hatte Dalle versucht die gemeinsamen Kinder unrechtmäßig von Homme fernzuhalten. Das Ganze eskalierte dann in einen öffentlich ausgeschlachteten Sorgerechtsstreit mitsamt häuslichen Gewaltvorwürfen aus und in beide Richtungen. Long story short: Am Ende gewann Homme das alleinige Sorgerecht für seine Kinder. Wenig später wurde er dann mit Krebs diagnostiziert, den er aber mittlerweile besiegt hat. Und jetzt? Ja, jetzt geht's ihm gut – und dafür gibt es wohl vor allem drei Gründe: Er hat gelernt seine Ängste und Dämonen (Alkohol und Drogen) zu konfrontieren und Akzeptanz gelernt. Akzeptanz wofür? Oh, das hatte ich vergessen zu erwähnen, im Zeitraum zwischen 2015 und heute sind elf von Hommes besten Freunden verstorben, darunter Foo Fighters-Schlagzeuger Taylor Hawkins und Rock-Ikone Mark Lanegan – rest in peace and rock on! Der dritte Grund dafür, dass es Homme jetzt besser geht, ist, dass er endlich dieses wohl schon seit 2021 herumliegende QOTSA-Album fertiggestellt und dabei noch all diese Dinge lyrisch verarbeitet hat. Natürlich stürzen sich darauf auch die QOTSA-Kritiker. So schreibt The Arts Desk in der Albumkritik: 

Uns wird in dieser verweichlichteren Welt oft erzählt, sich Probleme von der Seele zu reden, sei gut. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie den Grundstein für ein großartiges Rockalbum legen. 

We’re often told in this more touchy-feely world that it’s good to get your problems off your chest, but that doesn’t mean that they necessarily provide the building blocks for a great rock album.

Daran, dass dieses Album auf dieser Liste gelandet ist, werdet ihr erkennen, dass ich von ganzem Herzen widersprechen muss (und stellt euch überhaupt vor die Welt als touchy-feely zu verpöhnen und den Ausdruck von Gefühlen als etwas Gutes in Frage zu stellen, nur um dann diesen Kritikbogen schlagen zu können). Natürlich ist Josh Homme jetzt ein Vater in seinen 50ern mit Haus, einer Menge Geld, den amerikanisch-politisch Ansichten eines gefallen Libertären und einer Dad Rock-Affinität, der in seine Musik gerne Sex einarbeitet, trotzdem ist In Times New Roman... ein verdammt gut geschriebenes Album über Akzeptanz, das toxische Ende einer noch toxischeren Beziehung und apokalyptische Zustände in den USA (ohne dabei eine bestimmte politische Agenda zu bedienen). Hier mal ein paar richtig geile Textpassagen aus dem Album:

I don't give up, I give in / There ain't nothing to win / I'm making music for all stereotypes

Until your river's run dry / Fuck me stupid / And you're caught in the middle of what you made / Kiss it goodbye / Fuck me stupid / Empty hole where the empathy used to be / In the Obscenery (Anmerkung: Wortspiel obscene + scenery) is where you're happy to be

The truth is just a piece of clay / You sculpt, you change, you hide, then you erase / You think you're brave? / All the plans you made behind my back and from far away? / Truth is face to face your a coward / Sharp as a paper machete / Now I know you'd use anything, anyone, to make yourself look clean / In sickness no vows mean anything

Every living thing will die / From the king of the jungle to butterfly [...] When there's nothing I can do, I smile [...] We live, we die / We fail, we rise / I'm a vulture, so I hear goodbyes / There's no end to life

I'm all used up again / I beat myself like a broken record / Objectified, misuse me as directed / My sweet nothing

People come and go on the breeze / For a whole life? Possibly

Dieses Songwriting ist es, was dem Album extrem viel Charakter gibt. Musik-stilistisch sind Queens of the Stone Age auch wieder auf einem anderen Pfad. Der ist zwar nicht komplett neu, aber eine erfrischende Fusion aus fast allem, was Homme über die letzten Jahre bis Jahrzehnte so gemacht hat. Man kann viel raushören: die Düsternis und den Sex von Lullabies to Paralyze, den Lärm und die Kontraste von Era Vulgaris, die Depression von ...Like Clockwork, das Gefühl des Älterwerdens und die Experimentierfreude von Villains, die Grooves von Them Crooked Vultures. Ich würde In Times New Roman... nicht als ein Album primär für die Fans beschreiben, aber es ist definitiv nicht das einsteigerfreundlichste oder signifkanteste Album in der Diskographie – und wenn man nach Fehltritten und Schwächen in der Tracklist sucht, wird man sie auch finden. Meiner Meinung nach ist In Times New Roman... aber das beste Album, das hätte passieren können. Ein weiteres ...Like Clockwork, geschweige denn ein Songs for the Deaf bzw. die Energie des früheren QOTSA-Werks sind realistisch gesehen einfach nicht mehr zu erwarten. Das ist auch gut so. Josh Homme & Co. gehen ihren Weg – and they don't care What the Peephole Say.

  1. Obscenery | 85
  2. Paper Machete | 85
  3. Negative Space | 80
  4. Time & Place | 80
  5. Made to Parade | 75
  6. Carnavoyeur | 95
  7. What the Peephole Say | 75
  8. Sicily | 80
  9. Emotion Sickness | 90
  10. Straight Jacket Fitting | 85

7. King Gizzard & The Lizard Wizard – "PetroDragonic Apocalypse; or, Dawn of Eternal Light: An Annihilation of Planet Earth and the Beginning of Merciless Damnation"

Erscheinungsdatum: 16. Juni
Genre: Thrash Metal / Progressive Metal / Technical Thrash Metal
slothsound-Rating: 8 / 10

Gesprochen in der Anzahl an veröffentlichten Alben ist 2023 ein langsames Jahr für King Gizzard & The Lizard Wizard bisher. Umso besser ist dafür das eine, das dieses Jahr bisher erschienen ist. Selbst wenn man kein Metalhead ist, muss man wohl anerkennen, dass PetroDragonic Apocalypse (wie es der Kürze halber genannt wird) eines ihrer besten Alben bisher ist – und bei dem 24. Album in 11 Jahren will das schon was heißen.
Dabei waren die Erwartungen nach den Single-Veröffentlichungen bei mir gar nicht so hoch. Komischerweise sind Gila Monster und Dragon dann doch die Highlights vom Album. Sie sind im Album-Kontext einfach nochmal so viel besser als Pay-Off für die sich unablässig aufbauenden Songs eins bis fünf.
Auf PetroDragonic Apocalypse sitzt jedes Riff, jedes überkomplexe rhythmische Arrangement und sogar die Fantasy-Texte sind keine schmerzvoll offensichtliche Klimawandel-Metapher, weil sich King Gizzard bei all dem nie zu ernst nehmen. Es ist beeindruckend, wie diese Unernsthaftigkeit kaum die Bedrohlichkeit und Explosivität des Albums mildert. Tja, was kann man jetzt noch als Fazit zu King Gizzard sagen. Ich wiederhole mich wahrscheinlich zum x-ten Mal, aber sie haben es wieder geschafft.

  1. Motor Spirit | 85
  2. Supercell | 85
  3. Converge | 80
  4. Witchcraft | 85
  5. Gila Monster | 85
  6. Dragon | 90
  7. Flamethrower | 85

6. Geese – "3D Country"

Erscheinungsdatum: 23. Juni
Genre: Indie Rock / Alternative Country / Art Rock
slothsound-Rating: 8 / 10

Aktuell gibt es gefühlt eine Invasion an Post-Punk Bands aus Großbritannien. Die meisten von ihnen stammen aus der sogenannten Windmill-Scene und wurden von Dan Carey produziert. Geese sind da so ein bisschen die Ausnahme. Auch sie haben in 2021 ihr Debütalbum rausgebracht. Darauf gab's natürlich Post-Punk produziert von Dan Carey zu hören. Jetzt sind Geese zurück – nur diesmal ohne Dan Carey und auch ohne Post-Punk. Stattdessen erzählt ihr fabulöses neues Album 3D Country von einer apokalyptischen Zukunft im Jahre 2122 aus der Sicht eines trippenden Cowboys – und wie sich das für Cowboys gehört machen Geese jetzt Alternative Country oder sowas ähnliches, und dann auch wieder eher was anderes. Deswegen steht oben unter Genre auch zu aller erst einmal der Begriff Indie Rock. Das ist nämlich das beste Sammelbecken für sehr viel langweiligen Rock und für allen Rock, der relativ undefinierbar ist. 3D Country ist dabei nicht unbedingt undefinierbar, weil es revolutionär neu ist, sondern weil es sehr viel Bekanntes auf eine verrückte Weise in einem verrückten Setting kombiniert. Der Sänger Cameron Winter klingt mal nach Ray Davies von The Kinks, mal nach Henry Spychalski von HMLTD und mal kreischt und jault er. Seine Band klingt mal nach Country, dann nach Avant-Prog, dann nach Post-Grunge und Neo-Psychedelia, dann nach '60s Classic Rock und so weiter und so fort. Wichtig ist jedenfalls: Die Songs sitzen. Wenn sie nicht gerade die beste Hook haben – und die haben Highlights wie Mysterious Love, Cowboy Nudes, 2122 und I See Myself – dann grooven sie entweder bluesy (Crusades), verbreiten chaotische Endzeit- (Undoer) oder traurige Cowboy-Stimmung (3D Country) oder aber auch goofy, betrunkene Cowboy-Stimmung (St. Elmo). Es ist also für jeden Cowboy was dabei – yeehaw!

  1. 2122 | 85
  2. 3D Country | 90
  3. Cowboy Nudes | 90
  4. I See Myself | 90
  5. Undoer | 80
  6. Crusades | 80
  7. Gravity Blues | 85
  8. Mysterious Love | 90
  9. Domoto | 80
  10. Tomorrow's Crusades | 85
  11. St. Elmo | 80

5. Squid – "O Monolith"

Erscheinungsdatum: 9. Juni
Genre: Experimental Rock / Art Punk / Art Rock
slothsound-Rating: 9 / 10

Gerade habe ich noch über ihn gesprochen und da ist er auch schon: britischer Post-Punk aus der Windmill-Scene. Squid haben 2021 ebenfalls ihr Debütalbum unter der Regie von Dan Carey veröffentlicht und standen dabei so ein bisschen im Schatten von Black Country, New Road und black midi. Mit ihrem neuen Album O Monolith – übrigens ebenfalls nicht mehr produziert von Dan Carey – treten sie nun aus diesem Schatten heraus. Dabei bewegen sie sich einen ordentlichen Schritt weiter in Richtung Progressive Rock mit experimentellen perkussiven Elementen (Swing (Inside a Dream)) und dramatischen Chören (If You Had Seen the Bulls...), Vocodergesang (Siphon Song), Flöten (Devil's Den), Synthesizern-Wällen (Undergrowth) und Gitarrenlicks zwischen Midwest Emo und Radiohead (The Blades). Einige Songs fallen extrem abstrakt aus und sind selbst nach mehreren Hördurchgängen kaum greifbar, andere Songs kommen mit geerdete Grooves, einprägsamen Hooks daher und linearem Aufbau daher. Vor allem als Album funktioniert das am Ende beinahe alles bis zur Perfektion. Als großes Highlight von O Monolith geht aber vor allem die mittlere Sektion hervor. Undergrowth handelt von einer Art buddhistischen Theorie, bei der Menschen auch in leblosen Gegenständen wiedergeboren werden können. Hier glänzen der bombastische und eingängige Refrain, Streicher-Interludes, der zugrunde liegende, funkige Groove und das Saxophon. Es folgt der noch eindrucksvollere Song The Blades über Polizeigewalt auf Demonstrationen. Neben diesen beiden monumentalen Meisterwerken kann der Rest des Albums manchmal etwas weniger überzeugend wirken. Darum gibt's auch keine volle Punktzahl.

  1. Swing (In a Dream)90
  2. Devil’s Den | 85
  3. Siphon Song | 80
  4. Undergrowth 95
  5. The Blades95
  6. After the Flash | 80
  7. Green Light | 85
  8. If You Had Seen the Bull’s Swimming Attempts You Would Have Stayed Away | 85
     

4. Caroline Polachek - "Desire, I Want To Turn Into You"

Erscheinungsdatum: 14. Februar
Genre: Art Pop / Alternative Pop / Progressive Pop
slothsound-Rating: 9 / 10

Desire, I Want To Turn Into You ist das einzige Album auf dieser Liste, das nicht an einem Freitag erschienen ist. Statt dem New Music Friday zu huldigen, hat Caroline Polachek ihr zweites Solowerk einfach am Valentinstag veröffentlicht. Das passt, denn Polachek will sich dem Albumtitel nach entweder in desire selbst- oder in das Subjekt ihres Verlangens verwandeln. Selbiges proklamiert sie im Openers Welcome To My Island, der einen auf der Insel der Künstlerin mit dem wohlmöglich besten Refrain des Jahres begrüßt. In den folgenden elf Songs macht sich Caroline Polachek daran ihr Image als Kate Bush der Gen Z zu dekonstruierenund gleichzeitig immer mehr zu ihr zu werden. Da hört man Breakbeats auf Pretty In Possible, dann Flamenco-Gitarren auf Sunset (auch Kate Bush hatte einen Flamenco inspirierten Song namens Sunset), darauf '80s Art Pop a la Bush und Gabriel auf Crude Drawing of an Angel, als nächstes aber wieder Synth- und Hyperpop featuring Grimes und Dido und im folgenden Twist ein gloriöses Dudelsacksolo auf Blood and Butter. Desire, I Want To Turn Into You ist eines der besten Popalben der letzten Jahre – und das nicht zuletzt auch wegen Polacheks Ausnahmetalent als Sängerin. Ihre Technik und Reichweite ist so unglaublich, dass ihr zu Release ihres Solo-Debüts öfter mal vorgeworfen wurde, sie benutze AutoTune. Tja, nix da! Diese Frau ist einfach unglaublich – unbedingt reinhören, wenn ihr was mit Pop anfangen könnt!

1: Nicht, dass sie das mit Absicht machen würde. Ich glaube, das hat wirklich gar keinen Einfluss auf ihre Musik.

  1. Welcome To My Island90
  2. Pretty In Possible | 85
  3. Bunny Is a Rider | 85
  4. Sunset | 90
  5. Crude Drawing Of An Angel | 80
  6. I Believe | 90
  7. Fly To You | 80 
  8. Blood and Butter | 95
  9. Hopedrunk Everasking | 75
  10. Butterfly Net | 85
  11. Smoke90
  12. Billions95

3. HMLTD – "The Worm"

Erscheinungsdatum: 7. April
Genre: Art Rock / Rock Opera / Progressive Rock
slothsound-Rating: 9 / 10

Schon zweimal wurden sie in diesem Beitrag angeteased, auf Platz 1 hat's ihr neues Album aber doch nicht geschafft. HMLTD kommen aus der gleichen Londoner Szene wie shame und ihr neues Werk heißt nicht etwa Food for Worms, sondern einfach nur The Worm. Einen passenderen Titel gibt es aber wohl nicht wirklich, auch wenn der Wurm wirklich (oder unwirklich?) Menschen verspeist.
HMLTDs The Worm ist eine der besten Rock Operas, die ich je gehört habe, und einer der erfolgreichsten Versuche der letzten Jahre ein high-concept album zu machen. Die vielschichtige Metapher eines Wurmes, der England verschlingt, ist ein Narrativ, dass mit jedem Hören wieder neue Seiten hervorbringt. Es bezieht sich auf Kapitalismus, den Klimawandel, die Natur des Menschen, Beziehungen und Trennungen, Depressionen und Traumas und eben High-Fantasy Folklore. Die Musik ist genauso vielseitig. Wyrmlands ist ein black midi-esques Stück Jazz-beeinflussten Avant-Progs, Days und Saddest Worm Ever klingen nach Radioheads In Rainbows und A Moon Shaped Pool und ab dem Ende der ersten Hälfte stürzt man kopfüber in ein Rock-Theaterstück a la The Wall, mit Spoken Word-Passagen, Orchester, Chor und Piano-Samples. Währenddessen bringt die Band einige der einprägsamsten Hooks des Jahres zu Gehör (The End Is Now, Saddest Worm Ever und The Worm). The Worm mag in seiner ersten Hälfte etwas durcheinander wirken, aber folgt man dem roten Faden (dabei kann übrigens auch das Wormbook helfen), ergibt doch alles Sinn – und am Ende war es das sowieso wert, wenn das siegestrunkene Lay Me Down das Album abschließt. 

  1. Worm’s Dream | NR
  2. Wyrmlands | 75
  3. The End Is Now | 85
  4. Days | 80
  5. Saddest Worm Ever | 90
  6. Liverpool Street | 85
  7. The Worm95
  8. Past Life (Sinnerman’s Song) | 95
  9. Lay Me Down | 90

2. Jessie Ware – "That! Feels Good"

Erscheinungsdatum: 28. April
Genre: Disco / Dance Pop
slothsound-Rating: 9 / 10

Ihr seht richtig: Desire, I Want To Turn Into You ist nicht das beste Popalbum des Jahres bisher, denn diese Auszeichnung geht, wenn auch knapp, an Jessie Wares That! Feels Good. Hierbei handelt es sich jedoch natürlich um eine etwas andere Art des Pop. Jessie Ware ist nämlich seit 2021, und ihrem Album What's Your Pleasure?, so richtig in Feierlaune. Jetzt hat sie nachgelegt und statt eines Fragezeichens im Titel, hat das neue Album ein Ausrufezeichen im Namen.
That! Feels Good ist ein perfekt gelungenes, lebendiges, sinnliches Disco-Revival-Album und noch viel mehr darüber hinaus, wie das House-Piano im Build-up vom Queer-Anthem des Jahres Free Yourself oder die Big Band-Extravarganz von Begin Again oder der R&B-Moment Lightning oder der '90s House von Freak Me Now beweisen. 
Das Selbstbewusstsein hat Jessie Ware auch noch einmal ordentlich aufgedreht, genauso wie ihre Gesangsperformances. So fängt sie insgesamt auf charismatischste Weise den Kern des Disco-Genres ein ohne wirklich redundant zu werden. Es ist, als hätte sie ihre musikalische Comfortzone mit What's Your Pleasure? gefunden; als würde sie sich jetzt einfach nur Gehen lassen und sich darin suhlen. Das Album, das sich daraus ergeben hat, ist nie selbstgefällig, sondern immer purer, ungefilterter Spaß. Das! fühlt sich gut an.

  1. That! Feels Good | 90
  2. Free Yourself | 100
  3. Pearls | 95
  4. Hello Love | 90
  5. Begin Again90 
  6. Beautiful People | 85
  7. Freak Me Now90
  8. Shake the Bottle | 80
  9. Lightning | 85
  10. These Lips | 90

1. Black Country, New Road – "Live at Bush Hall"

Erscheinungsdatum: 24. März
Genre: Chamber Pop / Art Rock / Indie Rock
slothsound-Rating: 9 / 10

Mittlerweile wird's ja doch ein bisschen langweilig: Quasi zum dritten Mal in Folge stehen Black Country, New Road an der Spitze einer Album des Jahres-Liste – auch wenn diesmal bis jetzt nur an der Spitze der Halbjahresliste und nur mit einem Live-Album. Was erst einmal wie ein kleiner Verstoß gegen meine eigenen Regeln klingt, hat eine vernünftige Erklärung: Live at Bush Hall ist nicht irgendein Live-Album, in dem eine Band Material aus ihren letzten Alben spielt. Nein, ganz im Gegenteil: Black Country, New Road spielen hier ausschließlich komplett neue Songs, die vermutlich nicht auf einem zukünftigen Studioalbum landen werden – und sie spielen diese Songs ohne ihren Sänger und Texter Isaac Wood, der die Band letztes Jahr wegen mentalen Gesundheitsproblemen verlassen hatte. Bei Black Country, New Road teilen sich stattdessen jetzt Bassistin Tyler Hyde, Saxophonist Mark Lewis und PIanistin May Kershaw die Rolle der Frontperson. Sie singen also abwechselnd und steuern ihre eigenen Songs bei, die sodann mit der gesamten Band ausgearbeitet werden. Das kommt bisher vielleicht noch nicht ganz auf dem Niveau von Isaac Woods Werk an, aber man ist nah dran. Gleichzeitig haben Tyler, Mark und May jeweils ihren ganz eigenen Stil zu singen und zu performen. Auch die Schreibstile unterscheiden sich, werden jedoch, vermutlich durch das gemeinsame Entwickeln des Stoffs, so zusammengebracht, das alles am Ende zueinander passt. Das Ergebnis ist magisch und beweist, dass die Band auch ohne Isaac Wood weiterhin eine der besten Experimental Rock-Interpreten der 2020er Jahre ist. Schaut euch gerne oben den vollen Konzertfilm an, um euch selbst ein Bild zu machen!

  1. Up Song90
  2. The Boy | 85
  3. I Won't Always Love You | 90
  4. Across the Pond Friend | 90
  5. Laughing Song 95
  6. The Wrong Trousers | 85
  7. Turbines/Pigs100
  8. Dancers95
  9. Up Song (Reprise) | 85