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Bilderbuch: Österreicher-Buben & Retter des deutschsprachigen Pop - Künstlervorstellung | Teil 1: Anfänge und Durchbruch

Die österreichische Band Bilderbuch ist eine meiner Lieblingsinterpreten der 2010er Jahre und der Lieblingsinterpret aus dem deutschsprachigen Raum jener letzten Dekade.

Die österreichische Band Bilderbuch ist eine meiner Lieblingsinterpreten der 2010er Jahre und der Lieblingsinterpret aus dem deutschsprachigen Raum jener letzten Dekade. Dafür gibt es mehrere Gründe, zu denen natürlich ihre Musik gehört. Das sie bei mir aber so hoch im Kurs stehen, wird auch noch durch andere Faktoren entschieden: ihre schillernden Persönlichkeiten, Ästhetik und Lyrics, ihre Live-Konzerte und Musikvideos und zu guter letzt: ihr Einfluss im deutschsprachigen Pop und ihre Wichtigkeit für diesen.

Für Sänger Maurice Ernst und Bassist Peter Horazdovsky begann alles jedoch ganz anders - vor allem musikalisch. Bilderbuch starteten mit Indie-Rock der klassischen Sorte, auch wenn Ernst's Texte schon damals kurios waren. Kurz vor Release ihres Debütalbums kam es zum ersten Besetzungswechsel: Gitarrist Klemens Kranawetter verabschiedete sich aufgrund von Differenzen - es trat Michael Krammer bei, der bis heute in der Band spielt und eine definierende Figur Bilderbuchs geworden ist. Trotz dieses Wechsels wurde Nelken & Schillinge ein Erfolg und innerhalb seines Genres vom Österreicher-Publikum und der Musikkritik gefeiert. Das Album wartete vor allem mit poppigen Songsstrukturen und einprägsamen Gitarren-Riffs auf. Definierend für diesen Teil der ersten Ära der Band ist der Song Calypso. Es war jedoch eine andere Änderung in der Besetzung, die Bilderbuchs Durchbruch herbeiführen sollte.

Im März 2012 veröffentlichte die Gruppe ihr zweites Studioalbum Die Pest Im Piemont, das erneut gut rezensiert wurde. Auf diesem Werk tauschten Bilderbuch ihre Zugänglichkeit gegen mehr Experimentalität und Kunst aus. Die so wichtige Ästhetik und Poesie der Band ist hier jedoch deutlich weniger authentisch, als auf ihren folgenden Werken. Im November 2012 verlies Drummer Andreas Födinger Bilderbuch und setzte so den Grundstein für den kommenden Stil-und Durchbruch der Österreicher-Buben, denn Anfang 2013 trat Phillip Scheibl bei und vervollständigte so das Line-up, das bis heute wärt. Wie konnte also nun ein Wechsel auf der Position des Schlagzeugers den rasanten Aufstieg Bilderbuchs auslösen? Der Unterschied liegt im Spielstil: während Födinger ein klassischerer, Rock-beeinflusster Drummer war, ist Scheibl ein R&B-und vor allem Hip-Hop-Drummer. Er brachte seinen neuen Bandkollegen also diese Musikrichtungen näher. 

Es blieb nicht lange still um Bilderbuch, denn bereits im Juni 2013 kam die erste Single zur EP Feinste Seide heraus: Plansch. Wenn man sich diesen Song heute zu Gemüte führt, hört man ganz klar, dass er einer der ersten entstandenen Stücke aus der zweiten Ära der Band sein muss, denn neben einigen Experimenten und Elemente, die ganz klar nicht Rock sind, sind hier die E-Gitarren in typischer Rock-Manier präsent. Eines meiner Lieblingszitate über Bilderbuch wurde zum Release von Plansch verfasst und stammt von Noisey / Music by VICE:

Bilderbuch sind wohl die einzigen neben Kanye West, die AutoTune verwenden können, ohne absolut beschissen zu klingen – und das auch noch auf Deutsch!

Im Oktober wurde schließlich die ganze EP Feinste Seide veröffentlicht, beginnend mit dem titelgebenden Track. Dieser zeigt Phillip Scheibls Stil und den Einfluss des Schlagzeugers auf den Stil der Band wohl am besten auf. Feinste Seide ist der Hip-Hop-esqueste Song den Bilderbuch je herausgebracht haben. Es ist jedoch ein anderer Titel, der die Österreicher ins Rampenlicht der deutschsprachigen Musikszene hob. Maschin fehlte mit seinem brummenden Bass, den heulenden, verzerrten Gitarren und Maurice Ernsts verführerischen und ironischen Lyrics auf keiner Bestenliste im Jahre 2013. Bilderbuch gewannen Preise mit dem Song - und das nicht zuletzt auch international: bei dem Miami International Film Festival. Hier gelangte Maschin mit seinem Musikvideo in die Top 10 der besten Musikvideos - und das international! All diese drei Tracks schafften es, und das ist ja auch die einzig logische Entscheidung, auf das 2015er Durchbruchalbum Schick Schock. Der Bonus-Track Moonboots, der auf keiner Streamingplattform verfügbar ist, leider nicht. In überarbeiteter bzw. verkürzter Version hätte er es meiner Meinung nach ebenfalls verdient.

Mit der Feinste Seide EP und dem Song Maschin standen Bilderbuch nun also einem Haufen Erwartungen gegenüber. Jegliche Bedenken ihnen gegenüber beseitigten sie aber schnell mit den vorabveröffentlichten Singles OM und Spliff, die qualitativ auf die ein oder andere Weise locker an ihren großen Hit aus 2013 anknüpfen konnten. Erstere Auskopplung kam mit einem Musikvideo, dessen Schaffer dafür eine Nominierung beim Theodor König Award erhielten, und Spliff mit einem (für mich) faszinierenden Visual. Das ganze Album erschien schließlich am 27. Februar 2015 und schlug ein wie eine Bombe. Selbst 5 Jahre nach Release wird Schick Schock hochgehandelt. In der Musikexpress dieses Monats (Februar 2020) z.B. ist es auf Platz 12 der besten Alben der Dekade und auch in meiner Liste ist das Durchbruchswerk Bilderbuch's enthalten. Worin besteht aber nun die Genialität?

Zuerst einmal ist da das Genre-Crossover und der stilistische Bruch, den die Band mit Schick Schock gewagt hat. Das Album vereint Punk-Einflüsse, R&B, Hip-Hop, Dance und Indie-Rock mit poetischen und ironischen Texten, einzigartigen und kreativen Gitarren-Sounds-und Licks, eingängigen Basslines und zielgenauem Hip-Hop-Drumming voller Drive. Der Opener, der wohlgemerkt keines der großen Highlights von Schick Schock ist, demonstriert das schon beeindruckend. Willkommen Im Dschungel beginnt mit einem Drum-Break der rockigen Sorte, bis die Gitarre, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, ein sexy Bass-Riff einleitet. Kombiniert mit dem Schlagzeug, das mit viel Kraft und on point gespielt wird, entsteht ein punky Feeling, auf dem Maurice Ernst seine skurillen Lyrics performed. Der Bilderbuch'sche Dadaismus wird auf Tracks wie Spliff, mit eingängiger Bassline und diesmal sexy Gitarren-Lick, auf dem Ernst Kinder dazu auffordert Spliff zu singen, oder Schick Schock (Sag es laut, du bist hinter meinem Hintern her), mit geiler Gitarre überall, auf die Spitze getrieben. Ein wenig Back-to-the-Roots geht es auf dem funky, Beastie Boys-esquen Rosen Im Plafond, dessen Text aus Bilderbuchs Indie-Rock-Ära stammen könnten, während Gibraltar, mit seiner Atmosphärik im Mixing, der Gitarre und den Lyrics, der perfekte Closer ist. Softdrink ist eine Verbeugung vor dem Hip-Hop und OM eine ausschweifende solche vor dem Pop. Auch gesellschaftskritisch bietet Schick Schock etwas: Gigolo setzt sich mit der Finanzwelt auseinander und - ein kleiner Fun-Fact am Rande - das Klavier am Anfang des Titels wurde von einer Gitarre eingespielt.

Man sieht also: Schick Schock erlangte nicht umsonst Platin-Status und wurde zum Album des Jahres bei den Amadeus Austrian Music Award 2016. Kaum zu glauben das eine Schulband zu solchem Erfolg gelangen konnte - und das ist noch nicht einmal das Ende der Geschichte: Bilderbuch setzen ihre Experimente fort, knüpfen nahtlos an ihr Durchbruchsalbum an und werden dabei politischer und gesellschaftskritischer. Der zweite Teil dieser Künstlervorstellung erwartet euch am 04.03.!


Schick Schock auf Spotify: https://open.spotify.com/album/0Bt6xhfRdVhzjSdZvXt5JR?si=TkT99r54R0OaPFU326d0nA

Bilderbuch erklären ihr Album: Track by Track durch Schick Schockhttps://www.br.de/puls/musik/aktuell/bilderbuch-track-by-track-schick-schock-100.html

https://www.bilderbuch-musik.at

Die Bilderbuch: Hit-Songs-Playlist von Sloth-Sound auf Spotify (klicke hier) und Apple Music (klicke hier).