
Written by Oskar Vier
Published on 21.11.2025
Ich küre meine 30 (und mehr) liebsten Alben des Jahres!
Mit 2025 geht ein weiteres, wirklich hervorragendes Musikjahr zu Ende, dem ich aus Kapazitätsgründen nur eine Top 30 widmen kann – auch wenn eine Top 40 oder Top 50 aus meiner Sicht angebrachter wäre. Die Alben, die es nicht reingeschafft haben, werden dann in den Honorable Mentions vor der Top 10 Erwähnung finden…
Trotzdem war 2025 insgesamt wohl nicht das beste Jahr der 2020er bisher. Da würde ich es auf Rang 3 hinter 2022 und 2024 einordnen. Mal ganz davon abgesehen, dass sich politische Lagen in den sogenannten Ländern des globalen Nordens weiter verschärfen. Zynisch gesagt haben wir das als Ausbeuter Nr. 1 des Planeten und der Menschen aber vielleicht auch verdient. Beschissenerweise leiden unter solchen Entwicklungen auch hierzulande zuerst immer die Unterprivilegiertesten. Falls es ein Trost ist (es ist keiner), garantiere ich aber, dass es am Ende auch die Aristokraten der Welt erwischen muss…
Naja, genug davon. Wenden wir uns wieder der Musik zu, die als System Eskapismus und Spiegel der Wirklichkeit zugleich ist. Die Liste an sich ist dagegen wohl ersteres in purer Form, zumindest für mich als Schreiber. Neben dem Ranking vergebe ich dieses Jahr spaßenshalber (und um die Top 30 etwas genauer einzuordnen) auch kleine “Awards” an die Alben. Was das genau heißt, seht ihr dann… (es sind quasi Listen in der Liste).
Ich hoffe, ihr findet was Schönes für euch hierdrin oder könnt zumindest fröhlich mitnicken, wenn ihr ähnlicher Meinung seid und euch aufregen, wenn ihr ganz anderer seid. Meldet euch gerne mit allem Feedback und jetzt viel Spaß.
+++ Agriculture kombinieren chaotisches Gitarrenspiel und das Kreischen des Black Metal mit introvertierten Indie Rock-Passagen und -Elementen, um ihre Spiritualität darzustellen +++
Genre: Blackgaze / Post-Black Metal / Avant-Garde Metal
Descriptors: #chaotic #spiritual #dense #noisy #buddhist #heavy #dreamy #passionate
Awards: #3 Metal Album of 2025, Underrated Albums, Best Guitar Solos
Der eklektische Genremix von Agriculture findet seinen Höhepunkt am Beginn des zweiten Songs von “The Spiritual Sound” – “Flea” – wo Blast Beats, ätherische Black Metal Riffs und Gekreische erst auf Spoken Word treffen und sich dann in einen sanften Galopp-Rhythmus mit melodischer Basslinie unter verträumten Gitarrenklängen und weichem, verhallten Frauengesang wandeln. Es ist ein Song, der einen erst ins Chaos stürzt, dann zum Schweben bringt und letztlich in einem ekstatischen Gitarrensolo kulminiert. Mit nahtlosen Transitions schafft es die Band dieses Momentum über das ganze Album hinweg aufrechtzuerhalten. Dabei gelingen immer wieder Überraschungen, aberwitzige Wendungen und neue überwältigende Öffnungen in der Musik.
Highlights: “Flea”, “My Garden”, “Bodhidharma”, “Hallelujah”, “The Reply”, “Micah (5:15am)”
+++ Big Thief gucken nach oben zu den Sternen und träumen +++
Genre: Folk Rock / Indie Rock / Neo-Psychedelia
Descriptors: #bittersweet #soft #existential #bittersweet #sentimental #poetic
Awards: #3 Folk Album of 2025
Bisher waren die Alben der Band um Adrianne Lenker und Buck Meek immer geerdet in Folk und noch früher auch in leicht angenoistem Indie Rock. Jetzt wenden sich Big Thief der (doppelten) Unendlichkeit zu. Sie gucken nach oben und träumen, wie es bisher maximal an wenigen Stellen auf dem überlangen (und überguten) Vorgänger “Dragon New Warm Mountain I Believe In You” der Fall war. Dadurch fällt der Sound besonders zu Beginn des Albums synthielastiger und psychedelischer aus. Mit dem intensiven Träumen hebt der große Dieb ab und gerät beim sentimentalen Nachdenken über den Fluss der Zeit ins Schweben und Leuchten. Schade ist höchstens, dass die Band es dann doch nicht ganz schafft, das bis zum Schluss durchzuhalten. Von Song zu Song wird's immer traditioneller und doch wieder geerdeter. Vielleicht ist das aber auch Teil der Reise: vom Philosophieren über die unbegreifbare Unendlichkeit zurück auf den Boden der Tatsachen.
Highlights: “All Night All Day”, “Los Angeles”, “Words”, “Incomprehensible”, “How Could I Have Known”
+++ Die Tradition des Deep House setzt sich 2025 in Rochelle Jordan fort +++
Genre: Deep House / Alternative R&B / Dance-Pop
Descriptors: #sensual #lush #pulsating #smooth #nocturnal #hypnotic #hedonistic
Awards: #7 Best Pop Album of 2025, Underrated Albums
Ein Album wie “Through the Wall” hat im grandiosen Musikjahr 2024 gefehlt. Ansonsten reiht sich Rochelle Jordan nahtlos ein in eine Tradition der 2020er ein, ein großartiges Deep House pro Jahr zu liefern: Beyoncés “RENAISSANCE” in 2022, Kelelas “Raven” in 2023. Die Beats sind tief und luxuriös, sodass Jordan nicht selten den Alternative R&B der ‘90er streift, und die Texte sind sinnlich und hedonistisch. Auf “Through the Wall” findet sich nicht ein Song, der auch nur ansatzweise daneben geht. Bei einem Album mit 17 Songs und einer Stunde Laufzeit, liegt genau darin der Zauber, aber auch die Gefahr zu repetitiv und gleichförmig zu werden. Im Gegenzug kann man aber locker irgendwo in der Mitte des Albums einfach einsteigen und sich in eine Welt von Tanz und Nachtleben entführen lassen – ohne Nachzüge. Durch die Wand geht’s damit aber nicht.
Highlights: “Ladida”, “Bite the Bait”, “Doing It Too”, “Sum”, “On 2 Something”, “Crave”, “The Boy”, “Sweet Sensation”
+++ JvB leiten ihren punkigen, tanzbaren und humorvollen Hip Hop in etwas Tiefgründigeres um +++
Genre: Hardcore Hip Hop / Hip House / Pop Rap / East Coast Hip Hop
Descriptors: #nostalgic #energetic #humorous #boastful #anthemic
Awards: #9 Best Hip Hop Album of 2025
“HYPERYOUTH” ist sowas wie eine Ode an das richtige Leben. Anstelle von Spaß und Angebereien stärken Joey Valence & Brae auf ihrem dritten Album ihren Hörer*innen mit echten Weisheiten den Rücken. Sei einfach du selbst, hab Spaß und lebe gut. Insofern proklamieren sie “HYPERYOUTH” auch als eine Art Gegenprogramm zum Zeitgeist des Nonchalantseins. Hängen bleiben dabei vor allem die wirklich fantastischen Leadsingles “WASSUP” und “HYPERYOUTH / LIVE RIGHT” und alle Songs, die ähnlich energetisch und tanzbar daherkommen. Ganz am Höhepunkt einer Entwicklung sind JvB genau deswegen aber noch nicht angekommen, denn was auf dem Vorgänger “NO HANDS” schon funktioniert hat – und dort auch noch ausschließlich aufzufinden war – funktioniert zwar diesmal noch besser, die neuen langsameren und nachdenklicheren Songs bleiben dagegen jedoch etwas auf der Strecke. Das heißt nicht, dass sie nicht gut sind, sie gehören nur eben noch nicht zu dem, wofür ich JvB anschmeiße.
Highlights: “LIVE RIGHT”, “HYPERYOUTH”, “WASSUP”, “BUST DOWN”, “SEE U DANCE”, “BILLIE JEAN”, “THE PARTY SONG”
+++ Black Country, New Road etablieren sich erfolgreich neu – mit viel Magie, Farbe und Freundschaft als Eckpfeiler einer neuen Richtung +++
Genre: Art Rock / Baroque Pop / Progressive Pop
Descriptors: #whimsical #lush #pastoral #melodic #playful #bittersweet #bright #wholesome
Awards: #2 Art Pop/Rock Album of 2025
Es war 2022 noch ein anderes Black Country, New Road, das mit “Ants From Up There” den ersten Platz meiner Lieblingsalben des Jahres belegt hat. 3 Jahre später, mit einem und noch einem Sänger weniger, und zweien und noch einer Sängerin mehr, ist endlich der Nachfolger erschienen. “Forever Howlong” macht ganz vieles so richtig anders als “AFUT” in 2022 und “Live at Bush Hall” in 2023/24 und ist dabei zwar das schwächste BC, NR Album bisher, aber trotzdem immer noch ein Neuanfang, der gelobt werden muss. Das Album besteht aus elf Einzelkompositionen, die inhaltlich so wenig verbindet, wie es auf einem BC, NR Album vorher nie der Fall war. Stattdessen dürfen sich die Frontfrauen Georgia Ellery, Tyler Hyde und May Kershaw in aller Ambition ausbreiten. Demzufolge reichen die Stücke von recht kurz bis recht lang und von suizidal bis süß-fröhlich. Gemein haben sie ihre verschnörkelten, vielschichtigen Strukturen, Melodien, Geschichten und Instrumentationen. Das Ganze klappt manchmal fantastisch und meist sehr gut bis solide – und so geht es in “Forever Howlong” auf bruchstückhafte Weise bergauf und bergab bis man dann doch wieder ganz verliebt ist in Black Country, New Road.
Highlights: “Happy Birthday”, “Nancy Tries to Take the Night”, “Besties”, “For the Cold Country”, “Two Horses”
+++ Oklou debüttiert mit einem wegweisenden Electronic-Album +++
Genre: Alt-Pop / Indietronica / Ambient Pop
Descriptors: #minimalist #soothing #ethereal #soft #peaceful #mellow #cold #aquatic
Awards: #3 Best Electronic Album of 2025, #5 Best Debut Albums of 2025, Underrated Albums
“choke enough” ist wohl eines der am schwierigsten zu rankenden Alben des Jahres. Es ist faszinierend, minimalistisch, gefühlvoll und vielleicht sogar wegweisend für den Electropop, steht es doch im Gegensatz zum lauten, maximalistischen Hyperpop-Zeitgeist. Gleichzeitig macht sich Oklou auf eine Art und Weise ungewollt klein mit ihrer künstlerischen Richtung. Wer in so einer Zeit auf leise Klänge ohne Bombast, Musik größtenteils im Piano, spärliche Synthesizer und die kleinen, alltäglichen Emotionen setzt, wird wohl kaum das größte Aufsehen erregen oder die Welt verändern. Offensichtlich braucht es aber genau das auch. Für mich ist “choke enough” vor allem herausragend anders und besetzt eine Nische. Nur wenige, wenn überhaupt irgendwelche Songs, werden am Ende 2025 mitdefiniert haben – und so ist es nicht das beste Album des Jahres, aber eines der klarsten und schönsten künstlerischen Statements.
Highlights: “blade bird”, “harvest sky”, “endless”, “take me by the hand”, “choke enough”
+++ SSIO kehrt zu dem zurück, was er am besten kann +++
Genre: Deutschrap / Hardcore Hip Hop / Boom Bap / G-Funk / Trap
Descriptors: #humorous #provocative #bouncy #boastful #urban #vulgar #energetic #hedonistic
Awards: #8 Best Hip Hop Album of 2025, #3 Best Non-English Album of 2025, #1 Best German Album of 2025, #4 Best Comeback Albums of 2025, Best Album Rollouts
Mit “0,9” hat SSIO 2015 einen Klassiker des Deutschrap vorgelegt. Darauf zu finden: Boom Bap-, Jazz Rap- und G-Funk-Beats gepaart mit humorvoll-provokanten Texten, in denen SSIO sich abwechselnd als Crime Boss (konkret als Drogenkönig oder Zuhälter), King of Rap und Sexgott darstellt. Schon damals erreicht er damit eine Masse an Menschen, die über sein eigenes Milieu hinausgeht. 10 Jahre später hat sich das kaum geändert – und das trotz einer eher durchwachsenen musikalischen Zwischenzweit. Und so heißt es auf dem Eröffnungs- und Titelsong im Refrain sogar ganz wahrheitsgemäß: “SSIO, 10 Jahre King of Rap”. Genau zu seiner Blütezeit von vor 10 Jahren mit “0,9” kehrt SSIO auf “Alles oder Nix” auch endlich musikalisch zurück – nur mit dem ein oder anderen Trap-Beat mehr und zeitgemäß geupdateten Lyrics, mit denen er zwar immer noch kompromisslos Konventionen bricht, aber auch mal subtil (wenn auch immer in Abgrenzung) mit Wokeness und linkem Milieu kokettiert, gegen Friedrich Merz austeilt und aktuelle Memes und Jugendsprache einbezieht. SSIO besinnt sich also nicht nur zurück auf seine Stärken, sondern er hat auch seine Finger mehr auf dem Puls der Zeit als je zuvor, wodurch “Alles oder Nix” zum besten wird, was man sich von ihm in 2025 hätte wünschen können.
Highlights: “Alles oder Nix”, “Sei mal ehrlich”, “BWL”, “Keine Option”, “Seepferdchen Pass”, “Tut den Song in eure Playlist und macht viele TikToks”, “Ich bin raus”, “Dein Leben ist gefickt”, “In meinem Block”
+++ Ninajirachi liebt ihren Computer und das erlebt man in dem Album wirklich intensiv mit +++
Genre: Electro House / Electropop / Bubblegum Bass
Descriptors: #bouncy #quirky #playful #dense #energetic #introspective #futuristic
Awards: #2 Best Electronic Album of 2025, #4 Best Debut Albums of 2025, Best Album Rollouts, Underrated Albums
Komplett selbstproduziert kommt Ninajirachi mit dem überraschendsten Debütalbum des Jahres um die Ecke. Dabei scheint ihre Leidenschaft für elektronische Musik und ihre Genialität an allen Ecken und Enden durch. Auf YouTube Shorts kann man sich u.a. angucken, wie Ninajirachi zu ihren Sounds kommt: Einfach mal ein paar Geräusche aus dem Alltag aufnehmen und als Percussion loopen. Ninajirachi kombiniert das dann mit profanen, ehrlichen und manchmal auch recht humorvollen Texten. Auf “Sing Good” wird's berührend introspektiv, in “Fuck My Computer” geht's natürlich darum, dass man Sex mit dem eigenen Computer haben will, weil der einen am besten kennt, und im “London Song” erzählt uns Nina, dass sie noch nie in London war. Alles zusammen genommen, macht das eines der coolsten, quirkiesten, most relatable Alben des Jahres – yay!
Highlights: “Fuck My Computer”, “iPod Touch”, “All I Am”, “Delete”, “London Song”, “Sing Good”
+++ Earl Sweatshirt liefert endlich das lang versprochene Album über's Vatersein und klingt dabei optimistischer als je zuvor +++
Genre: Abstract Hip Hop
Descriptors: #summery #introspective #inspiring #warm #mellow #lethargic #hazy
Awards: #7 Best Hip Hop Album of 2025
In Earl Sweatshirts Karriere zeichnet sich mit jedem Album mehr der Trend Richtung Glück im Leben ab. “Live Laugh Love” hat zwar noch seine bittersüßen Seiten, insgesamt geht es aber schon als warmes, gemütliches und doch weiterhin etwas verquarztes Sommeralbum durch. Strukturell bleibt Thebe Kgositsile dabei größtenteils beim Altbewerten: kurze Songs, Texte im Gedankenstrom, nuschelige Raps und jazzig-soulige Lo-Fi-Beats. Das ist mehr “Some Rap Songs” als “SICK!”, wo Earl Sweatshirt sich zumindest ein wenig in neue Gefilde gewagt hatte, und so stellt sich schon die Frage, was als nächstes kommen kann oder gar muss. Ein letztes Mal funktioniert's aber noch grandios auf “Live Laugh Love”.
Highlights: “TOURMALINE”, “exhaust”, “Gamma (need the <3)”, “Heavy Metal aka ejecto seato!”, “CRISCO”
+++ Bad Bunny überzeugt sogar seine harschsten Kritiker mit seinem besten sowie einem erstaunlich guten und tiefgründigen, siebten Album +++
Genre: Reggaetón / Latin Pop / Caribbean Music
Descriptors: #patriotic #eclectic #tropical #rhythmic #conscious #sexual #bittersweet #political
Awards: #6 Best Pop Album of 2025, #2 Best Non-English Album of 2025
Andere Leuten wären würdiger über Bad Bunnys 2025er Album zu reden. Mir steht die Sprachbarriere im Weg und ehrlich gesagt, ist das auch okay so: Mir reicht die Musik, denn sie erzählt Bände und macht sehr viel Spaß. “DeBÍ TiRAR MáS FOToS” ist eine unfassbar eklektische Sammlung an Songs, bei denen sich Bad Bunny durch puerto-ricanische Musikgeschichte sampelt, und das mit modernem Latin Electronic zusammenführt. Die Songs fallen mal anthemisch, mal festlich, mal tanzbar, mal schlicht electropoppig aus. Aus all dem muss man sich, finde ich, so ein bisschen die Favoriten zurechtsuchen, denn als Ganzes gibt es an “DeBÍ TiRAR MáS FOToS” eigentlich nur auszusetzen, dass es etwas übervölkert ist und nicht alle Songs dem hohen Anspruch gerecht werden, den die Highlights, die musikalisch spannenden Songs und die inhaltlich politischen Songs des Albums setzen. Trotzdem gibt es hier eine Entwicklung, eine Hülle und Fülle an Material und eine kulturelle Bewusstheit zu bestaunen, die wenig anderes zulässt, als einen Platz unter den besten Alben des Jahres.
Highlights: “NUEVAYoL”, “DtMF”, “BAILE INoLVIDABLE”, “CAFé CON RON”, “EL CLúB”, “VOY A LLeVARTE PA PR”, “LA MuDANZA”, “PIToRRO DE COCO”, “PERFuMITO NUEVO”