10. Januar 2016: Bilderbuch spielen das letzte Konzert der Schick Schock-Tour, die sie durch Deutschland, Österreich und die Schweiz führte. Im Grazer Orpheum, wo das Konzert stattfand, kündigten sie schließlich eine Schaffenspause an. Dann wurde es knapp 2 Jahre still um die Österreicher-Buben. Ihr drittes Studioalbum aus 2015, Schick Schock, hatte Bilderbuch den kommerziellen Durchbruch beschert und den Austro-Pop zurückgebracht. Musik-Begeisterte-und Kritiker feierten die Band. Thematisch beschäftigte sich das Album mit dem Luxus, dem Status den wir genießen, ohne dabei großartig kritisch zu sein oder viel zu hinterfragen. Maurice Ernst nutzt als Metapher dafür in späteren Interviews das Bild von einem luxuriösen Musikclub: dem Magic Life Club. Diese Idee begleitete ihn und seine Kollegen das ganze Jahr 2016. Es entwickelte sich das Gefühl, man müsse Verantwortung als Künstler übernehmen. So wurde Magic Life geboren - eine Gesellschaftssatire, ein ironisches Konzeptalbum. Noch überzogener als Schick Schock. Damit entwickelte sich auch die Ästhetik der Band und, noch wichtiger, ihr Sound. Bilderbuch loteten weiter musikalische Grenzen aus oder wie Manuel Berge von laut.de sagt: 

Sie sind im Mainstream präsent und nutzen ihre Popularität, um ihn zu parodieren, zu zerstören. 

Kein Wunder, dass Magic Life und seine ersten drei Singles von den Fans des Quartetts geradezu zerissen wurden. Aber genau das ist es ja, was Bilderbuch erreichen wollten. Sie nehmen den Vorgänger Schick Schock, treiben ihn auf die Spitze, entwickeln ihn weiter, um das Entstehende am Ende zu zerstören. Magic Life ist keine leichte Kost, teilweise fast unausstehlich. Es ist kein einfaches Album. Da haben wir Glück, dass dies nur eine Facette von Bilderbuchs 2017er Kunststück ist. Schon die vierte Single lies darauf schließen: es gibt auch sexy Momente auf Magic Life. Der Tonspion umschreibt diese beiden Facetten (und damit Magic Life selbst) folgendermaßen:

Wir wollen es wegen des Auto-Tunes hassen; wir wollen es mit einem Shitstorm belegen, weil es zu kitschig ist; wir wollen es ignorieren, um die Selbstinszenierung endlich zu stoppen. Aber gleichzeitig wollen wir unbedingt hemmungslosen Sex mit ihm haben!

Und nicht nur hemmungslosen, wie Single Nummer 1 Sweetlove beweist, auf dem bluesy, soulige Gitarren-Licks-und Soli aneinandergereit werden, bis der Hörer nicht mehr kann. Währenddessen singt Maurice Ernst inbrünstig seine repititiven Lyrics Rauf und Runter. Das ist entweder unfassbar romantisch oder zu viel des Guten. Ich liebe es. Die zweite Single I <3 Stress steht in der Album Tracklist direkt davor: auf Nummer 2, eingeleitet durch das atmosphärische Welness-Intro Carpe/Diem. Das basslose Sweetlove wird hier in einen kräftigen Kontrast gestellt: auf I <3 Stress wummert und brummt es lauter denn je, bis im Refrain die kreischende Gitarre einsetzt und Ernst verzückt die titelgebenden Zeilen erklingen lässt. Mir fehlt der, mir fehlt der Stress. Das ist alles noch gut und schön, bis jene, deplatzierten, mich an das ekelhafte Scooter erinnernden Effekte die Trance zerstören. Die Zeilen Ich komm' zu spät zu meiner Thai-Massage [...] Sie sagte, hurry up, boy [...] Peitsch mich, Baby, ich brauch' Hits sind definierend für Magic Life.

Bungalow war die Rettung für viele Bilderbuch-Fans nach den ersten drei Auskopplungen. Der Super-Hit, den sich jeder gewünscht hat - und der erfolgreichste BiBu-Song to date. Er beerbt Sweetlove auf der Tracklist. Man wird gleich in den Pop-Himmel erhoben, wenn der schwere, shaky Drum-Beat einsetzt und prägnante Gitarren-Akkorde in relativ unverzerrter Form einsetzen. Das Musikvideo dazu knüpft nahtlos an Maschin und OM an und zeigt die Entwicklung Bilderbuchs hin zu Magic Life fantastisch auf. Bungalow war genug, um den anhaltenden kommerziellen Erfolg der Band zu garantieren. Daran konnte sie auch nicht der folgende, unendlich repetitive Achtel-Beat von Sprit n' Soda hindern. By the rivers of cash flow. Erlösung aus der Eintönigkeit ist ein Gitarren-Solo, dass nicht so atmosphärisch wirken dürfte, wie es wirkt. 

Erzähl Deinen Mädels Ich Bin Wieder In Der Stadt war die dritte Single zum Album und ist ein absoluter Grower. Aus dem Nichts ertönt der einprägsame Drum-Beat, oben drauf sexy Gitarreneinwürfe. Die himmlische Refrain-Melodie, die klingt als würde sie von einer Art Blasinstrument gespielt werden, ist ebenfalls eine Gitarre. Wow. Superfunkypartytime ist mehr der Nachfolger von Sprit n' Soda. Wie der Name schon sagt: hier haben wir es mit einer funky Gitarre zu tun. Doch das Riff ist genauso party, wie nervig. Schlimmer wird es erst mit dem Mantra-artig gejubelten Party, Party, Party. Nach diesem sperrigen Song entfaltet sich Magic Life aber. Investment 7 macht als Ballade den langsamen Anfang. Mit Fade-In erklingen Bass und Gitarre atmosphärisch und romantisch. Zerstört wird dieser Traum nur seicht und zwar in Maurice Ernsts Anfällen der Selbstinszenierung. Investment 7 bleibt schön, immerhin singt Maurice von der richtigen, wahren Liebe. Die Dead-Notes von Baba starten nach dem Interlude Magic Life, bei dem man sich am Pool liegend Cocktails schlürfen sieht, und leiten den zweiten großen Bilderbuch-Song von Magic Life nach Bungalow ein. Keine Selbstinszenierung, gut eingesetztes AutoTune, skuriller Text. In Strophen und Refrain bleibt der Song ruhig - Romantik pur. Dreimal explodiert er in jauchzenden, typischen Bilderbuch-Gitarren. 

Die Alten sagen, nichts im Leben ist for free / Ich will's nicht glauben / Seh da drin kein' Sinn. Sneakers4Free ist eine Hymne an den Luxus, an das Magic Life, an die Sneakers. Stell dir vor / Sneakers for free. Michael Krammers Gitarre heult auch hier verspielt im Hintergrund, aber eben nur dort. Sneakers4Free bleibt der Hip-Hop-Track von Magic Life. Das Outro wird nur begleitet vom Klavier. Ich kann nicht Leben ohne free Drinks / Frinks!, heißt es. Bescheuert und irgendwie atmosphärisch. Ein guter Closer. Digital und in der Deluxe-Box wurde auch noch das eingängige Babylon nachgereicht, auf dem bluesig-soulige Gitarren ein Pladoyer für die Religionsfreiheit unterlegen. Stilistisch zu Magic Life passend, aber leicht aus dem Konzept fallend. Trotzdem ein schöner Bonus-Track mit guter Message.

Magic Life ist ein wunderschönes Spiel mit den Erwartungen der Musikszene gewesen. Bilderbuch setzen dabei neue Genres in ihr Klangbild ein und erschaffen ein Konzeptalbum voller Romantik, Sexiness, Selbstinszenierung und Übertreibung, aus dem kein Wort (zu) Ernst  (Achtung Wortspiel) genommen werden sollte. Sie setzen ihren kommerziellen Erfolg im Mainstream fort und schaffen neue Hits für ihren Katalog (Bungalow und Baba), denen sie so unausstehliche wie geniale Songs gegenüberstellen. Dafür bekommen sie diesmal zwar nicht den Preis für das Album des Jahres, aber immerhin den für die Band des Jahres - und das völlig zurecht. Bilderbuch sind eben mehr als nur ein Album, mehr als nur Musik. Sie sind ein Image, eine Ästhetik, eine lebendige Kritik an der Gesellschaft, ein Kontrast und unzählige Gefühle. Maurice Ernst sagte in einem Interview folgendes:

Du kannst jetzt so sagen: Scheiße mit Brexit...aber lass uns jetzt einen geilen Song machen, damit die Leute fett abgehen dann. Nah! [...] Magic Life zeigt einen sehr privaten Blick auf unser Gefühlsleben, dass [der] immer noch sehr selbstbewusst ist. [...] Es geht nicht komplett in sich hinein, aber es zeigt ja auch die andere Seite der Medaille. Es zeigt ein bisschen Zerbrechlichkeit. Es zeigt dir das Unterlaufen der Idee Schick Schock.

Liveact des Jahres wurden sie nebenbeigesagt auch noch. Diesem Titel sollte sie mit der 2018 folgenden Tour 5000 auch gerecht werden. Dort werden wir auch im dritten Teil am 06.03. ansetzen!

Magic Life auf Spotify: https://open.spotify.com/album/4umed49HvB2X8x3Kkjf1HO?si=P4mKcgqrRJmh4UAhHq9zDg

https://www.bilderbuch-musik.at

Die Bilderbuch: Hit-Songs-Playlist von Sloth-Sound auf Spotify (klicke hier) und Apple Music (klicke hier).