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Essenzielle Alben: Kate Bush – Hounds of Love

Kate Bushs "Running Up That Hill (A Deal with God)" ist auf der ganzen Welt wieder in den Single Charts – im Vereinigten Königreich sogar auf Platz 1, in Deutschland auf Platz 3 und in den USA auf Platz 4. Die Platte, auf der sich der Song befindet (betitelt) "Hounds of Love"), ist deshalb überall ausverkauft – sogar auf eBay und Discogs. In dieser Ausgabe von "Essenzielle Alben" spreche ich über und diskutiere die Gründe – und natürlich soll es auch darum gehen, wie gut "Hounds of Love" wirklich ist.

"Running Up That Hill" und Stranger Things 4

Kate Bushs Running Up That Hill (A Deal with God) ist auf der ganzen Welt wieder in den Single Charts – im Vereinigten Königreich sogar auf Platz 1, in Deutschland auf Platz 3 und in den USA auf Platz 4. Damit hat Kate Bush persönliche Rekorde gebrochen. Wie kommt es aber, dass ein Song von 1985 populärer denn je ist?

Die Antwort ist: Stranger Things. Die Netflix-Serie ist jetzt in die vierte Runde gegangen und ebenfalls auf Rekordkurs. Sie spielt in den 1980ern und wurde schon immer für seinen fantastischen Sound- bzw. Songtrack gelohnt, der natürlich – wie die gesamte Serie – voll auf den '80er-Revival-Zug der letzten Jahre aufspringt. Running Up That Hill ist beinahe omnipräsent in Stranger Things 4 und trägt ganz entscheidend zum Finale der vierten Folge bei. Eine der Hauptfiguren (Max) ist dabei besessen von dem Song. Der Grund könnten die ersten beiden Zeilen des Refrains sein: And if I only could, I'd make a deal with god / And I'd get him to swap our places. Möglicherweise bezieht Max diese Textstelle für sich persönlich auf das Ende der dritten Staffel. 

Natürlich werden in diesem Kontext Stimmen laut, der "Jahrhundert-Song" würde "verramscht" (Quelle: Der Spiegel) – immerhin geht es in Running Up That Hill um etwas ganz anderes. Es geht um kommunikative Probleme in einer Beziehung – mehr noch; um grundlegende Differenzen interpersonaler Kommunikation aufgrund von sozialen und biologischen Faktoren, aufgrund von Geschlechteridentitäten und wie wir diese überbrücken könnten, wenn wir doch nur durch einen Deal mit Gott für eine Zeit Rollen bzw. Körper tauschen könnten. In diesem Rahmen hatte Kate Bush ihre Zustimmung (approval) gegeben, den Song als Queer- bzw. Trans-Hymne auszulegen.

Der Spiegel sieht in Running Up That Hill in Stranger Things 4 ein Marketingtool. Mit Kunst habe die Verwendung gerade dieses Songs wenig zu tun. Und tatsächlich funktioniert er mit seiner angedachten lyrischen Bedeutung nicht mit den Inhalten der Serie. Auch die Bedeutung, die der Text für die Figur Max haben könnte, ist rein spekulativ. Dennoch kommt es beim Hören schnell in den Sinn, warum Running Up That Hill ihr Lieblingssong sein könnte. Ganz unpassend ist die Songwahl also nicht. Und in jedem Falle beziehe ich dafür Stellung, dass Max – wie jede:r andere – diesen Song für sich so auslegen, mit Ereignisse verknüpfen und fühlen darf, wie es beliebt. 

Trotzdem hat die Verwendung von Running Up That Hill und der Hype, der um Song und Serie entstanden ist, einen faden Beigeschmack. Selbstverständlich profitiert Stranger Things vom '80er-Hype und Kate Bush und ihr Label profitieren von Stranger Things. War das Ganze aber ein kalkulierter Marketingtrick? Es könnte ein abgeklärtes Spiel von Parlophone bzw. Warner Music mit Netflix gewesen sein, in dessen Zuge beide voneinander profitiert hätten, denn die ganze Situation um Running Up That Hill hat sicherlich ein paar Kate Bush-Fans, '80er-Nostalgiker, grundlegend Interessierte an Stranger Things und Musik-Nerds zum Gucken der Serie gebracht. Zusätzliche Presse und eine kunstformübergreifende Präsenz sind immer gut! Der umgekehrte Fall – mehr Umsätze für die Plattenfirmen ­– ist noch offensichtlicher. Das Album Hounds of Love ist als LP – gebraucht und neu – überall ausverkauft. Genau beantworten lässt sich das aber nicht. Was sich sagen lässt: Es war ein genialer Schachzug von den Produzenten und Machern der Serie Stranger Things bzw. von Netflix einen so zugänglichen und außergewöhnlichen Song auf diese Weise in die Comeback-Staffel ihrer populärsten Serie einzubauen. Insofern könnte man sagen, Running Up That Hill wurde hier als Marketingtool ge- oder missbraucht. Ob etwas ein Marketingtool ist, hängt für mich jedoch letztendlich von der Intention ab. Wurde Running Up That Hill von Anfang an mit dieser Intention ausgewählt und in die Serie inkorporiert? Wir wissen es nicht und werden es vermutlich nie erfahren. Kate Bush selbst war jedoch wohl kaum eingeweiht. Sie ist kein industrieller Funktionär, hat genügend Geld, eine Menge künstlerische Integrität und zeigte sich überrascht sowie geschmeichelt, bedankte sich bei den Stranger Things-Fans. 

Wie dem auch sei, am Ende stehen wir alle als Gewinner da. Und vor allem hat eine ganze Generation, mich irgendwie eingeschlossen, zu Kate Bush gefunden. Einige nur zu Running Up That Hill, andere vielleicht zum ganzen Album Hounds of Love von 1985 oder gar zur kompletten Diskographie. Das ist jedenfalls meine unfreiwillige Perspektive als Musik-Nerd. Deswegen möchte ich auch nicht sagen, Running Up That Hill wäre "verramscht" worden. Der Song macht sich großartig in der Serie und bekommt wohlverdiente Aufmerksamkeit. Es ist eben ein "Jahrhundert-Song". Im Gegenzug dafür nehme ich eigentlich gern einen Marketingtrick in Kauf.

Das Album "Hounds of Love": Einige Hintergründe

Kate Bush wurde schon als Teenagerin von EMI unter Vertrag genommen. Das Label war durch David Gilmour, den Gitarristen der legendären Prog-Band Pink Floyd, auf sie aufmerksam geworden. Gilmour wiederum war ein Freund von einem von Kate Bushs großen Brüdern gewesen. Sie verabredeten sich um heimlich ihr beim Musizieren zuzuhören. Gilmour – auf der Suche nach Nachwuchstalenten – war so begeistert von der damals 13-jährigen Singer-Songwriterin, dass er begann mit ihr Musik zu machen. Er setzte sich außerdem erfolgreich für einen Plattenvertrag ein. Im Jahre 1978, im Alter von 19 Jahren, veröffentlichte Kate Bush schließlich ihr Debüt The Kick Inside mit der Hit-Single Wuthering Heights. Das Album war in Großbritannien ein voller Erfolg und so wurde Bush dazu gedrängt noch im selben Jahr ein zweites Album aufzunehmen. Lionheart erschien im November 1978 – Bush war ein paar Monate vorher 20 geworden.
Auf ihrem dritten Werk Never for Ever wurde sie dann experimenteller und übernahm mehr Aufgaben in der Production. Das mündete 1982 in The DreamingThe Dreaming ist ohne Zweifel Kate Bushs ausgefallenstes, düsterstes und politischstes Album sowie erstmals vollkommen selbstproduziert. Zumindest ersteres war auch der Grund dafür, dass das Album floppte – sowohl bei den Kritikern, als auch beim Mainstream-Publikum. Deshalb wurde Hounds of Love 1985 als Bushs großes Comeback gefeiert und markierte ihren Durchbruch in Nordamerika. Die erste Single-Auskopplung war ursprünglich betitelt als A Deal With God. Aus Angst, ein Song mit dem Wort "god" im Titel könnte in den USA (und in anderen Ländern) nicht beworben werden, wurde der Name zu Running Up That Hill geändert. Die Single stieß in Großbritannien MadonnaLike a Virgin vom Thron – quasi ein Kampf um den Titel der Queen of Pop.

Hounds of Love, Seite A: Kate Bush auf ihrem Pop-Höhepunkt

Hounds of Love ist ein zweigeteiltes Album. Die erste Seite besteht aus unverbundenen Hit-Songs, von denen vier als Singles ausgekoppelt wurden. Das macht den Einstieg in das Album deutlich leichter und bereitet den Hörer gleichzeitig auf die anspruchsvolle B-Seite vor. Alle fünf Songs sind fantastisch. Eröffnet wird Hounds of Love natürlich von Running Up That Hill (A Deal with God)Kate Bushs populärstem Song, der der Grund dafür ist, dass ich diese Review überhaupt schreibe. Ich kannte den Namen Kate Bush sowie einige ihrer Album-Cover zwar schon vorher und konnte sie einordnen, ohne Stranger Things wüsste ich jedoch nicht wann und ob ich mich in ihre Musik hineingehört hätte. Mittlerweile habe ich einige Kate Bush-Alben auf dem Buckel und kann sagen, dass mir Hounds of Love nach wie vor mit Abstand am besten gefällt und Peter Gabriels So, auf dem Bush übrigens ebenfalls (im großartigen Song Don't Give Up) vertreten ist, Konkurrenz macht als mein Lieblingswerk der 1980er.
Generell bin ich eher kein Fan der Musik der '80er, was an dem typischen Sound, der quasi uniformen und oftmals schlecht gealterten Production liegt. Für mich sind die Dekaden davor und danach immer interessanter und vielschichtiger gewesen. Kate Bush bildet eine der klaren Ausnahmen. Ihre Alben aus den '80ern und auch The Red Shoes (1993) klingen zwar eindeutig nach der Zeit, aus der sie stammen, sind aber gleichzeitig zeitlos, großartig produziert und haben einen hohen künstlerischen Anspruch. Ihre Gesangsperformances sind unfassbar vielseitig und ausgefallen, die Instrumentationen experimentell und die Synthesizersounds und technischen Spielereien bahnbrechend für die Zeit. Es ist bemerkenswert, dass sie mit dieser Art von Musik so populär werden konnte.

Hounds of Loves erste Seite trifft die perfekte Balance zwischen diesem experimentellen, einzigartigen Aspekt und Pop-Zugänglichkeit. Dies sind wohlmöglich Kate Bushs beste Songs – alle auf einer LP-Hälfte. Mein absoluter Liebling unter ihnen ist Cloudbusting, ein Baroque-Pop-Track über den Doktor der Medizin, Philosophen und Psychoanalysten Wilhelm Reich, der eine Maschine genannt Cloudbuster entwickelt hat. Diese Maschine sollte dazu in der Lage sein mithilfe der kosmischen Energie Orgon, die Reich entdeckt haben wollte, Regen zu erzeugen. Kate Bush hatte die Memoiren von Reichs Sohn Peter gelesen und schrieb daraufhin Cloudbusting aus der Sicht von Peter Reich. Im zugehörigen Musikvideo spielt Donald Sutherland eine Figur, die Wilhelm Reich repräsentieren soll. 

Der Titeltrack und The Big Sky sind ebenfalls großartig. Letzterer Song steigert sich stetig weiter, hin zu den ekstatischen Group-Vocals am Ende (Rolling over like a great big cloud / Walking out in the big sky). Das lyrische Ich im Song Hounds of Love hat Angst vor der Liebe, weiß also nicht, was gut für es ist, erkennt aber später, dass es eigentlich einfach nur Liebe braucht. Daher die Bitte: Oh, here I go, don't let me go / It's coming for me through the trees / Oh, help me, darling, help me, please / Take my shoes off and throw them in the lake. Auch in Hounds of Love nehmen Streicher eine zentrale Rolle ein.


  1. Running Up That Hill (A Deal with God) | 100
  2. Hounds of Love | 95
  3. The Big Sky | 95
  4. Mother Stands for Comfort | 85
  5. Cloudbusting | 100

Hounds of Love, Seite B: "The Ninth Wave"

Die zweite Seite von Hounds of Love trägt den Titel The Ninth Wave. Im Stile des zu der Zeit verpönten Progressive-Rock der 1970er fließen die sieben Songs zusammen als eine konzeptionelle Suite, die Kate Bush ursprünglich als eine Art Film-Soundtrack angedacht hatte. Dabei geht es um eine Person, die alleine auf dem offenen Meer zurechtkommen muss und dabei das eigene Leben und das Leben anderer traumartig an sich vorbeiziehen sieht; eine Horrorvorstellung für Kate Bush. Dieser Horror kommt öfter in dem Stück durch. Nach dem schlafliedartigen Piano-Song And Dream of Sheep setzt das bedrohliche Streicher-Orchestrat von Under Ice ein, ehe aus dem Nichts eine Stimme laut wispert: Wake up! Eine Welle an verschiedenen Stimmen prasselt auf unsere Hauptfigur und den Hörer ein. Es erwacht die Hexe – Waking the Witch. Dies ist, aus einer Production-Perspektive, einer der experimentellsten Songs des Albums. Es gibt Samples, extrem schnelle Spreader auf Kate Bushs Vocals – ein wiederkehrender Effekt auf Watching You Without Me – und diese gruselige, monsterartige Stimme, bei der ich mich unfreiwillig an den Antagonisten der neuen Stranger Things-Staffel Vecna erinnert fühle.
Das Finale von Hounds of Love – und damit der zweite Abschnitt von The Ninth Wave – beginnt mit Jig of Life, einer Zelebrierung des Lebens mit Einflüssen aus der keltischen Musik, vor allem erkennbar am prominenten irischen Dudelsack. Auf dieses lebendige Stück folgen das epische Hello Earth, gespickt mit Chören, melancholischem Klavier und Ambient-Sounds, und das leichte The Morning Fog, die The Ninth Wave karthatisch abschließen. In The Morning Fog erzählt das lyrische Ich, nachdem es aufgewacht ist, all seinen Liebsten von den Erlebnissen und davon, dass es sie liebt. 


  1. And Dream of Sheep | 85
  2. Under Ice | 90
  3. Waking the Witch | 95
  4. Watching You Without Me | 85
  5. Jig of Life | 90
  6. Hello Earth | 95
  7. The Morning Fog | 90

Fazit

Hounds of Love ist Kate Bushs unangefochtenes Meisterwerk. Kein anderes Album von ihr ist so rund. Auf der ersten Seite sind ihre beste Popsongs zu hören, auf der zweiten Seite eine musikalisch revolutionäre, konzeptuelle Suite nach dem Vorbild des Progressive-Rocks der 1970er. Das alles wird von Bushs fantastischer Production und tiefgründigen, kunstvollen Texten zusammengehalten. Es ist großartig, dass Stranger Things 4 einer ganz Generation diesen Klassiker nahegelegt hat und etwas ganz besonderes, dass Kate Bushs Musik auch in der Praxis heute noch mithalten kann, Relevanz besitzt. Damit steht Hounds of Love an der Spitze der besten Alben der 1980er. Um diese Behauptung zu untermauern: Zusammen mit Talking Heads' Remain in Light teilt es sich auf AOTY den ersten Platz der von Nutzern bestbewertetsten Alben jener Dekade. Mit Hounds of Love sorgte Kate Bush außerdem dafür, dass Frauen in der Männer dominierten Musikindustrie ernst genommen wurden und ihre Träume verfolgen konnten. 

10 / 10

Anspieltipps: "Running Up That Hill (A Deal with God)"; "Cloudbusting"; "The Big Sky"
weitere Highlights: "Hounds of Love"; "The Ninth Wave"