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Jahresrückblick: Die Top 22 Alben 2022

Wir schauen zurück auf das Musikjahr 2022 mit meinen Top 22 Alben des Jahres.

Einleitung & Honorable Mentions

Es ist wieder soweit: Ein neues Musikjahr hat begonnen, das vorangegangene muss noch aufgearbeitet werden. Am liebsten mache ich das bekanntermaßen in Form einer Topliste. Spaßeshalber gibt's für 2022 eine Top 22. Auf die ersten sieben Alben werde ich oberflächlicher und hoffentlich auch kürzer eingehen. Für die Top 15 wird's dann inhaltlicher und abwechslungsreicher. Bevor es aber mit der Liste losgeht, hier die Alben, die es aus verschiedenen Gründen leider mehr oder weniger knapp nicht geschafft haben:

  • Alvvays – "Blue Rev"
  • Benjamin Clementine – "And I Have Been"
  • Björk – "Fossora"
  • Broken Bells – "Into the Blue"
  • Cloakroom – "Dissolution Wave"
  • Danger Mouse & Black Thought – "Cheat Codes"
  • deathcrash – "Return"
  • Foals – "Life Is Yours"
  • Jack White – "Fear of the Dawn"
  • King Gizzard & The Lizard Wizard – "Changes"
  • King Gizzard & The Lizard Wizard – "Laminated Denim"
  • The Mars Volta – "The Mars Volta"
  • Porcupine Tree – "CLOSURE / CONTINUATION"
  • Psychedelic Porn Crumpets – "Night Gnomes"
  • Sudan Archives – "Natural Brown Prom Queen"
  • Taylor Swift – "Midnights"
  • Wet Leg – "Wet Leg"

Disclaimer: Wie immer ist diese Liste vor allem subjektiv geprägt, wobei ich als Kategorien beim Erstellen der Liste auch auf die Rezeption und die Einfluss geschaut habe. Besonders die ersten zehn Alben auf der Liste sind vor allem persönliche Picks, die man auf anderen Listen zum Teil eher weniger finden würde, weil sie es vor allem durch mein persönliches Hörverhalten so hoch geschafft haben. Die Top 12 auf der anderen Seite beinhalten fast ausschließlich Alben, die aus gutem Grund auch auf den meisten anderen Listen auftauchen.

22. Cate Le Bon – "Pompeii"

Veröffentlichungsdatum: 4. Februar
Genre: Art-Pop / Neo-Psychedelia
slothsound-Review-Rating: 7 / 10

Cate Le Bon präsentiert auf Pompeii ihren ganz eigenen Ansatz zur Neo-Psychedelia. Der hat etwas schrullig-weises Antikes und besticht vor allem mit der Production, dem Einsatz von Blechbläsern und Le Bons Stimme. Auf ein großartiges Album von ihr muss man aber weiterhin warten. Pompeii ist zwar ein schönes Ding für Zwischendurch mit viel eigenem Charme, aber hier und da fehlen die großen Momente und auch einen richtigen Banger sucht man vergeblich.

  1. Dirt on the Bed | 70 
  2. Moderation85
  3. French Boys | 75
  4. Pompeii | 80
  5. Harbour85
  6. Running Away | 75
  7. Cry Me Old Trouble | 80
  8. Remembering Me85
  9. Wheel | 70

21. Viagra Boys – "Cave World"

Veröffentlichungsdatum: 7. Juli
Genre: Punk / Dance-Punk / Post-Punk
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Die schwedische Punk-Band mit dem wundervollen Namen Viagra Boys nimmt auf Cave World gekonnt, mit ironischem Swagger und tollpatschiger Energie Querdenker Hops, indem diese mit Neandertalern gleichgesetzt werden. Aus diesem bewusst platt gewählten Narrativ gibt es aber auch Ausreißer wie Punk Rock Loser, Ain't No Thief,  Big Boy und ADD, wo Lead-Sänger Sebastian Murphy auf die für ihn typische Weise andere Themen verarbeitet und sich selbst und den Punk nicht ernst nimmt. Cave World ist so im Endeffekt manchmal etwas unkonstant, schlussendlich kommt aber was Gutes bei rum, wie der Zuspruch von der Musikkritik unterstreicht.

  1. Baby Criminal 85
  2. Cave Hole | NR
  3. Troglodyte85
  4. Punk Rock Loser | 65
  5. Creepy Crawlers | 80
  6. The Cognitive Trade-Off Hypothesis85
  7. Globe Earth | NR
  8. Ain’t No Thief | 80
  9. Big Boy | 75
  10. ADD | 70
  11. Human Error | NR
  12. Return to Monke85

20. King Gizzard & The Lizard Wizard – "Omnium Gatherum"

Veröffentlichungsdatum: 22. April
Genre: Neo-Psychedelia / Psychedelic-Rock / Psychedelic-Pop / Garage-Rock / Thrash-Metal / Easy Listening / Hip-Hop
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Auf ihrem 20. Album nach zehn Jahren schauen King Gizzard & The Lizard Wizard einmal zurück auf so gut wie alles, was sie bisher musikalisch abgedeckt haben (und fügen noch das ein oder andere hinzu). In der Folge gibt's zum Jubiläum über die Laufzeit von zwei Disks ein Potpourri an verschiedenen Genres. Gleichzeitig kündigt die australische Band ihre neue Jam-Phase mit dem fast 20-minütigen Opener The Dripping Tap an. Omnium Gatherum ist alles was King Gizzard sind und waren durcheinander geworfen, auf die Spitze getrieben, manchmal vielleicht etwas untertrieben und nicht immer auf höchstem Niveau. Wie von der Band gewohnt sind trotzdem einige richtig gute Stücke dabei und viel Spaß ist vorprogrammiert.

  1. The Dripping Tap | 80
  2. Magenta Mountain | 90
  3. Kepler 22-b | 85
  4. Gaia | 85
  5. Ambergris | 80
  6. Sadie Sorceress | 65
  7. Evilest Man | 80
  8. Garden Goblin | 75
  9. Blame It On the Weather | 75
  10. Persistence | 65
  11. The Grim Reaper | 75
  12. Presumptuous | 80
  13. Predator X | 80
  14. Red Smoke | 80
  15. Candles | 80
  16. The Funeral | 80

19. Just Mustard – "Heart Under"

Veröffentlichungsdatum: 27. Mai
Genre: Noise-Rock / Shoegaze / Trip-Hop / Post-Punk
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Eine der Entdeckungen des Jahres ist für mich die irische Post-Punk-Band Just Mustard. Genau wie prominente Acts wie IDLES, Fontaines D.C. und Cigarettes After Sex stehen sie beim Label unter Vertrag. Von ihren Mitbands trennen sich wiederum mit ihrem einzigartigen Noise-Rock-Sound. Der entsteht durch die tiefen Bässe, die kreativen, treibende Drumbeats und die atmosphärisch-industriellen Gitarrenexperimente. Der wichtigste Twist kommt dann durch die Vocals von Sängerin Katie Ball, deren süßliche Stimme sich mit den düsteren Instrumentals beißt und gleichzeitig noch in einem komplett anderen Raum existieren scheint. Sie scheint losgelöst vom Rest der Band und muss ihre Tonlage ohne die harmonische Unterstützung von Gitarre oder Bass halten, da diese kaum melodiös auftreten. Diese Charakteristika bestimmen Heart Under und machen so eine krasse Hörerfahrung aus. Der größte Kritikpunkt am Album rührt auch daher: Stil und Sound sich nicht wirklich abwechslungsreich – und so zieht sich die depressive Stimmung durch alle zehn Tracks.

  1. 23 | 85
  2. Still | 85
  3. I Am You | 80
  4. Seed | 80
  5. Blue Chalk | 70
  6. Early | 85
  7. Sore | 80
  8. Mirrors | 75
  9. In Shade | 75
  10. Rivers | 75

18. Tim Bernardes – "Mil Coisas Invisiveis"

Veröffentlichungsdatum: 14. Juni
Genre: Lateinamerikanische Musik / Folk
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

"Ich hoffe eines Tages auch nur ein Zehntel so gut im Singen und Komponieren zu sein wie Tim Bernardes", sagt Fleet Foxes-Mastermind Robin Pecknold. Im Vergleich der beiden Interpreten mag man davon jetzt halten was man will, aber es steht definitiv fest, dass Tim Bernardes ein großartiger Sänger und Arrangeur ist. Das hat er zumindest mit seinem neuen, zweiten Album Mil Coisas Invisiveis bewiesen, auf dem der Brasilianer lateinamerikanischen Folk par excellence macht. Neben der klassischen Akustik-Gitarre-plus-Gesang-Kombo, bietet das Album mit Songs wie Mistificar, Falta und Realmente Lindo auch Momente der Psychedelik und Einflüsse klassischer- und typischer brasilianischer Musik.

  1. Nascer, Viver, Morrer | 85
  2. Fases | 80
  3. BB (Garupa da Moto Amarela) | 85
  4. Realmente Lindo | 85
  5. Meus 26 | 75
  6. Falta | 85
  7. Velha Amiga | 80
  8. Olha | 75
  9. Esse Ar | 75
  10. Última Vez | 75
  11. Mistificar | 90
  12. A Balada de Tim Bernardes | 85
  13. Beleza Eterna | 80
  14. Leve | 85
  15. Mesmo se Você Não Vê | 80

 

 

17. Oliver Sim – "Hideous Bastard"

Veröffentlichungsdatum: 9. September
Genre: Art-Pop / Indietronica
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Das Debütalbum von The xx-Sänger und -Bassist Oliver Sim ist ein Befreiungsschlag für den Künstler; Lead-Single und Opener Hideous das einleitende Bekenntnis eine schwulen Mannes zu seiner HIV-Erkrankung.

Been living with HIV since 17. Am I hideous?

Von diesem anfänglichen Downer entwickelt sich das Album von einer Reflexion zur nächsten. Die größte Stärke von Hideous Bastard ist dabei das Finale. GMT ist ein spärlich- und größtenteils mit Gesang instrumentierter Liebessong, Fruit eine berührende Konfrontation mit den Eltern und Run the Credits dann das große Finale. Insgesamt geht's bei Hideous Bastard aber nicht wirklich um die einzelnen Songs, sondern darum, wie die Songs einander besser machen und langsam das Bild dieses hideous bastard unterstreichend dekonstruieren. Produziert wurde das Album natürlich vom renommierten The xx-Produzenten Jamie xx

  1. Hideous | 90
  2. Romance with a Memory | 80
  3. Sensitive Child | 80
  4. Never Here | 75
  5. Unreliable Narrator | 70
  6. Saccharine | 75
  7. Confident Man | 80
  8. GMT | 85
  9. Fruit | 85
  10. Run the Credits | 90

16. Kevin Morby – "This Is a Photograph"

Veröffentlichungsdatum: 13. Mai
Genre: Folk-Rock / Singer-Songwriter
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Kevin Morby zollt auf This Is a Photograph Tribut an Jeff Buckley und andere verstorbene musikalische Helden, taucht in die Vergangenheit ein und erklärt seine Liebe an seine Frau. Das Singer-Songwriter-Album reichert toll und eigen geschriebenen Folk-Rock mit kreativer Production, großen Klimax-Momenten und verschiedensten Instrumenten wie Ambient-Sounds, Harfe, Saxophon, Streichern und Banjo an. 

  1. Intro | NR
  2. This Is a Photograph | 90
  3. A Random Act of Kindness | 90
  4. Bittersweet, TN | 90
  5. Disappearing | 80
  6. A Coat of Butterflies | 85
  7. Rock Bottom | 60
  8. Forever Inside a Picture | NR
  9. Five Easy Pieces | 85
  10. Stop Before I Cry | 90
  11. It's Over | 85
  12. Goodbye To Good Times | 80

15. King Gizzard & The Lizard Wizard – "Ice, Death, Planets, Lungs, Mushroom and Lava"

Veröffentlichungsdatum: 7. Oktober
Genre: Jazz-Rock / Psychedelic-Rock
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Eingeleitet von Omnium Gatherum und Made in Timeland, starten King Gizzard & The Lizard Wizard mit Ice, Death, Planet, Lungs, Mushroom & Lava erst so richtig in ihre Jam-Phase. Das Konzept ihres 21. Albums ist aber noch einmal ein anderes: Die sieben Songs, die von den sieben verschiedenen Substantiven im Titel repräsentiert werden, decken jeweils eine der sieben griechischen modalen Tonleitern ab. Passenderweise spiegelt das Akronym des Albumnamens genau die Anfangsbuchstaben der sieben Modi wider: IDPLMAL – Ionian, Dorian, Phrygian, Lydian, Mixolydian, Aeolian, Locrian. Doch was sind die modalen Tonleitern überhaupt?
Einfach gesagt sind sie so etwas wie Dur oder Moll, d.h. sie bestimmen welche Töne eine Tonleiter enthält bzw. wo die Halbtonschritte zu verorten sind. So ergeben sich dann die unterschiedlichen Stimmungen, die Musik vermitteln kann. Bei den Modi ist Dur gleichzusetzen mit Ionisch und Moll mit Äolisch. Gleichzeitig kann man alle Modi stimmungstechnisch (also von der Helligkeit der Klangfarbe her) Dur oder Moll zuordnen. In der Popmusik findet vor allem eine modale Tonleiter so gut wie gar keine Verwendung: Lokrisch. Aufgrund seiner Vorzeichen klingt der Modus einfach nicht gut für das menschliche Ohr. Lokrisch ist der düsterste der Modi. 
King Gizzard & The Lizard Wizard bedienen sich nun aller modaler Tonleitern und jammen mit ihnen – sieben Songs, sieben Modi. Es ergibt sich ein Album, auf dem jeder Song einen anderen Vibe vermittelt und teilweise auch andere Genre-Einflüsse miteinbezieht. Es gibt sehr funkige und sehr jazzige, eher loungige und eher harte Stücke. Insgesamt kann der Jam-Ansatz der Band aber auch etwas nach hinten losgehen. Einige Songs geraten etwas zu lang und verstricken sich in zu viele Soli, deren Aufregung sich nicht auf den Hörer überträgt. Trotzdem trägt jeder Jam im Kern ein gutes Lied mit einprägsamen Melodien und Textpassagen.

  1. Mycelium | 80
  2. Ice V | 90
  3. Magma | 85
  4. Lava | 70
  5. Hell's Itch | 75
  6. Iron Lung | 90
  7. Gliese 710 | 75

14. Florist – "Florist"

Veröffentlichungsdatum: 30. Juli
Genre: Indie-Folk
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Mit ihrem vierten, selbstbetitelten Album gelingt der Band Florist etwas absolut Magisches. Es ist eines dieser Alben, dass sofort Emotionen aus einem herauskitzelt. Es erfühlt einen mit Empathie, Freude und melancholischer Nostalgie zugleich. Florist schaffen das mit den wundervollen Gesangsmelodien und den erzählerischen Texten – mit süßer Stimme vorgetragen von Emily Sprague – sowie einem außergewöhnlichen, bodenständigen Sound. Der setzt sich in erster Linie zusammen aus Lo-Fi-Production, warmen Akustik-Gitarren, ambienten Details und jenen einzigartigen Synthesizern. Der Kern von Florist ist dabei Verbundenheit mit der Natur und dem Universum; mit Familie und Freunden; mit allen Lebewesen der Erde. Diese Beschreibung mag erst einmal super esotherisch und vielleicht auch pathetisch klingen, aber das ist es am Ende gar nicht. Stattdessen wird auf einmal alles so einfach, wenn man Florist hört. Man fühlt sich glücklich. Zumindest hat die Musik auf mich diesen Effekt. 

  1. June 9th Nighttime | 90
  2. Red Bird Pt. 2 (Morning) | 85
  3. Duet for Guitar and Rain | 85
  4. Spring in Hours | 90
  5. Bells Pt. 1 | NR
  6. Two Ways | 80
  7. Variation | NR
  8. Organ's Drone | 80
  9. Duet for 2 Eyes | 80
  10. Reprise | NR
  11. 43 | 85
  12. Bells Pt. 2 | 75
  13. River's Bed | 80
  14. Sci-Fi-Silence | 85
  15. Finally | NR
  16. Dandelion | 80
  17. Bells Pt. 3 | 75
  18. Feathers | 80
  19. Jonnie on the Porch | 85

13. Bilderbuch – "Gelb ist das Feld"

Veröffentlichungsdatum: 25. März
Genre: Soft-Rock / Austro-Pop / Indie-Rock
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Natürlich dürfen Bilderbuch auf einer Topliste von mir nicht fehlen. Für mich können die nicht mehr so bubenhaften Österreichischen Buben einfach nichts falsch machen. Auch auf ihrem neuesten Album Gelb ist das Feld bewahrheitet sich das wieder, obwohl sich die Band weiter denn je vom Sound der Schick Schock-Ära entfernt. Die Süddeutsche Zeitung titulierte sogar, Bilderbuch seien endlich im Schlager angekommen. Dazu passt auch der Argentinien-Urlaub der Band am traumhaften, naturgeschützten See Nahuel Huapi, den Maurice Ernst auf der Lead-Single besingt. Schlager ist das natürlich trotzdem noch lange nicht, aber Bilderbuch verbinden auf eine daran erinnernde Weise Erotik und Romantik mit einem kitschigen Cover, das ein Close-up auf eine rosarote Rose zeigt, und einem bodenständigeren, weniger überproduzierten Soft-Rock-Sound. Da hilft es auch nicht gerade, dass das für die Band typische wienerisch-sexy Augenzwinkern fehlt – zusammen mit jeglichen politischen Inhalten und Luxusmotiven. Stattdessen konzentriert sich Maurice Ernst voll und ganz auf sich selbst und wo er im Leben steht. Bilderbuch wirken rastlos, melancholisch und werden von der Nostalgie gelockt, nur um dann von ihr enttäuscht zu werden. Sie haben Fern- und Heimweh, wollen sich niederlassen, aber stecken gleichzeitig noch in den Verhaltens- und Denkmustern ihrer 20er fest. Und so wird doch noch ein Schuh aus Gelb ist das Feld, denn das Album ist emotionaler und persönlicher als jedes Bilderbuch-Werk zuvor. Es ist eben wieder einmal was Neues!

  1. Bergauf | 85
  2. For Rent | 90
  3. Dates | 85
  4. Nahuel Huapi | 90
  5. Daydrinking | 90
  6. Schwarzes Karma | 80
  7. Klima | 90
  8. Baby, dass du es weißt | 70
  9. Blütenstaub | 80
  10. I'm Not Gonna Lie | 75
  11. La Pampa | 80
  12. Ab und Auf | 85
  13. Zwischen deiner und meiner Welt | 85
  14. Gelb ist das Feld | 80

12. Kendrick Lamar – "Mr. Morale & The Big Steppers"

Veröffentlichungsdatum: 13. Mai
Genre: Conscious Hip-Hop / West-Coast Hip-Hop
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Kendrick Lamar, der wohlmöglich einflussreichste und von der Kritik gelobteste Rapper unserer Zeit, hat etwas durchlebt in den 1855 Tagen, die sein neuestes Album Mr. Morale & The Big Steppers vom Vorgänger DAMN. trennen. Und tatsächlich ist Mr. Morale & The Big Steppers sein persönlichstes Album. Es ist ein Album über Kendrick Lamar; über seine Verlobung, Beziehungsprobleme, Sexsucht, Daddy Issues, Berühmtsein, Selbstinszenierung. Dabei erzählt das Album davon, wie Lamar auf den Wunsch seiner Partnerin ("You really need some therapy", sagt sie selbst im Song Father Time) in Therapie geht und am Ende als geheilt aus dieser entlassen wird. So therapiert sich Lamar innerhalb des Albums quasi mithilfe seiner Kunst selbst – und die ganze Welt darf teilhaben an seiner Selbstreflexion, seinen Selbstzweifeln, seinem Fortschritt. Das Fazit? Kendrick Lamar ist und kann kein Weltretter sein. Er befreit sich von den Erwartungen der Welt an ihn und rettet sich so selbst. Trotzdem spielt er weiterhin mit der Messiasrolle: Auf dem Cover trägt er einen Dornenkranz, im Musikvideo zu N95 schwebt er in Jesus-Kreuzhaltung über dem Wasser.
Mr. Morale & The Big Steppers ist als Doppelalbum konzipiert und enthält 18 Tracks bei einer Laufzeit von über einer Stunde. Alles, vom Release bis zur Musik, ist durchkonzipiert. Die Songs sind experimentell und theatralisch. Überzeugt hat mich als nicht Hip-Hop-Fan zuerst der Opener der ersten Disk, United In Grief, der mit Soul-Einlagen, Spoken Word-Passagen, harten Drums, Streichern, einem Arpeggiator und vielen Twists gefüllt ist.
Aus all den nun zusammengetragenen Gründen ist Mr. Morale & The Big Steppers kein Album für den Alltag und es finden sich nur wenige Songs, die sich aus dem Kontext ziehen lassen. Selbst als Ganzes kann es schwierig sein es in einer Sitzung durchzuhören. Es gibt viele ruhigere Stellen und viele verschiedene Arten von Songs, von denen man einige nicht einmal als Lieder klassifizieren kann (We Cry Together). Trotz der Schwierigkeiten, die ich mit dem Album als musikalisches Werk habe, zum einen aufgrund des Genres und zum anderen seines Konzeptes wegen, war für mich klar, dass es auf diese Liste gehört. Mr. Morale & The Big Steppers ist ein Meisterwerk, dass die wenigen Hördurchgänge, die es zulässt, restlos belohnt.

Disk 1

  1. United In Grief | 95
  2. N95 | 90
  3. Worldwide Steppers | 85
  4. Die Hard | 80
  5. Father Time | 85
  6. Rich (Interlude) | NR
  7. Rich Spirit | 75
  8. We Cry Together | 100
  9. Purple Hearts | 85

Disk 2

  1. Count Me Out | 90
  2. Crown | 85
  3. Silent Hill | 80
  4. Savior (Interlude) | 70
  5. Savior | 90
  6. Auntie Diaries | 85
  7. Mr. Morale | 75
  8. Mother I Sober | 90
  9. Mirror | 90

11. toro y moi – "MAHAL"

Veröffentlichungsdatum: 29. April
Genre: Neo-Psychedelia / Psychedelic-Soul / Chillwave
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Neben all den ernsthaften Themen und bedeutungsvollen Erfahrungen, die die meisten Alben des Jahres aufgreifen, braucht es auch mal Wellness, Spaß und Sommergefühle. Dafür war bei mir dieses Jahr vor allem einer verantwortlich: Toro y Moi mit seinem neuen Album MAHAL. Das Cover zeigt den philippinisch-afrikanisch-amerikanischen Chaz Bear – die one man army hinter dem bilingualen Künstlernamen Toro y Moi – mit einem buntbemalten und verzierten Autobus. Solche Minibusse sind das Haupttransportmittel des öffentlichen Personennahverkehrs in den Philippinen. Die Geräusche des Autobusses begleiten den Hörer durch das ganze Album, als würde man einen Road Trip durch verschiedene philippinische oder maritime amerikanische oder in der Mecklenburgischen Seenplatte gelegene Ortschaften im Sommer unternehmen – je nach Lebensrealität eben. Die Songs sind kurzweilig und so bewegt sich die Tour schnell von Ort zu Ort. Unterbrochen wird das mit Jameinlagen von Chaz Bear und seiner Band, die die Songs gleichzeitig aneinanderschweißen. Es gibt keine Stopps, was von der gewünschten und gleichzeitig unerwünschten Rastlosigkeit und Sprunghaftigkeit zeugt. Diese Melancholie überschattet aber nie die Entspannung, denn es ist ja ein Sommerurlaub. 
Okay, das war jetzt vielleicht etwas abstrakt. Auf der Sinnebene wollte ich ungefähr folgendes sagen: Tätsachlich schafft es Chaz Bear auf MAHAL irgendwie Chillwave, persönliche Reflexion, humoristische Einlagen, Melancholie und Gute-Laune-Mucke zusammenzubringen, ohne dabei den glückselig-entspannten Sommervibe zu untergraben. So versinkt das Album auch nicht in der vibes only Bedeutungslosigkeit. Dabei helfen ebenfalls die vielen Breaks, unvorhersehbaren Jampassagen und psychedelisch-jazzigen Elemente. Natürlich kann MAHAL trotzdem nicht mit den großen Releases des Jahres mithalten, aber darin liegt die Schönheit von Toro y Mois Musik. Sie hat ihren ganz eigenen Platz. Der ist für mich emotional eng mit dem späten Frühling und frühen Sommer 2022 verknüpft – und dafür liebe ich das Album einfach.

  1. The Medium| 75
  2. Goes By So Fast | 80
  3. Magazine | 80
  4. Postman | 85
  5. The Loop | 85
  6. Last Year | 80
  7. Mississippi | NR
  8. Clarity | 75
  9. Foreplay | 75
  10. ​​​​​​Déjà Vu | 85
  11. Way Too Hot | 80
  12. Millenium | 85
  13. Days In Love | 85

10. Little Simz – "NO THANK YOU"

Veröffentlichungsdatum: 12. Dezember
Genre: Conscious Hip-Hop / UK Hip-Hop / Jazz-Rap / Neo-Soul
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Nachdem sie den Mercury Prize für das beste Album 2021 mit Sometimes I Might Be Introvert gewonnen hat, sagt Little Simz der Musikindustrie auf ihrem neuen Album "NEIN DANKE". Noch dieses Jahr hatte sie den Brit Award für Best New Artist gewonnen, obwohl sie schon vier zunehmend erfolgreiche Alben veröffentlicht hatte. Die ganze Situation um Little Simz wirkt so als wolle sich die Musikindustrie ihren Erfolg auf die eigene Fahne schreiben. Um zu zeigen, dass sie auch ohne die Standards dieser Maschinerie Erfolg haben kann, hat Little Simz ihr fünftes Album NO THANK YOU jetzt im letzten Monat des Jahres, an einem Montag und ohne Promo veröffentlicht. Damit entzieht sie sich gekonnt Spotify Wrapped, dem New Music Friday und den meisten Jahresendlisten – nicht so meiner. Gerade wo mir Sometimes I Might Be Introvert etwas zu orchestral, grandios und episch war, mäßigt Little Simz sich auf NO THANK YOU. Wenn die orchestralen Elemente und Breakdowns dann einmal durchkommen, ist es auf dem thematisch lockereren Flex-Track Gorilla, indem Little Simz sich (verdientermaßen) zur besten Rapperin im Game erklärt. An anderen Stellen gibt es tolle Gospel-Elemente, oldschoolige Jazz-Beats und Neo-Soul-Passagen. Gerade deshalb dürfte das Album auch Nicht-Hip-Hop-Fanatikern (wie mir) gefallen. Inhaltlich ist NO THANK YOU weniger stringent und schwerwiegend als der Vorgänger. Trotzdem sind die Texte großartig; introspektiv, politisch, systemkritisch, empowerend. In der Folge hat das Album emotionale Strahlkraft und bleibt trotzdem schön (auch nebenbei) durchhörbar.

  1. Angel | 90
  2. Gorilla | 90
  3. Silhouette | 90
  4. No Merci | 85
  5. X | 90
  6. Heart On Fire | 90
  7. Broken | 90
  8. Sideways | 75
  9. Who Even Cares | 75
  10. Control | 80

9. Steve Lacy – "Gemini Rights"

Veröffentlichungsdatum: 14. Juli
Genre: Neo-Soul / R&B / Bedroom-Pop
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Wenn es in 2022 einen Gewinner in der Musikindustrie gab, dann war es Steve Lacy. Zwar hatte er schon vorher mit Größen wie Frank Ocean, Tyler the Creator, Calvin Harris oder Vampire Weekend zusammengearbeitet und mit seinem Solodebütalbum Apollo XXI unter Indie-Pop- und Neo-Soul-Fans in Spotify-Playlisten Erfolg, doch dieses Jahr ist ihm der Durchbruch in den aktuellen Pop-Olymp gelungen. Dabei spielte, wie nicht anders zu erwarten, TikTok eine große Rolle, denn dort ist die Single Bad Habit explodiert und so zum erfolgreichsten Song des Jahres (neben Harry Styles' As It Was) geworden. Zum Glück habe ich kein TikTok und bin so davon verschont geblieben, dass mir der Content dort Bad Habit versaut. Der Song ist nämlich nicht nur erfolgreich, sondern auch verdammt gut. Das zugehörige Album Gemini Rights ist im Allgemeinen eines meiner Lieblingsalben des Jahres. Auch wenn die zweite Hälfte etwas abfällt, kann Gemini Rights insgesamt an Bad Habit anknüpfen; z.B. mit dem Latin-Pop-Meisterstück Mercury und aufgrund der Lo-Fi-Production, sexueller Texte, Lacys zur Schau gestellter Bisexualität und viel Charisma. 

  1. Static | 85
  2. Helmet | 90
  3. Mercury | 95
  4. Buttons | 85
  5. Bad Habit | 100
  6. 2gether (Enterlude) | NR
  7. Cody Freestyle | 75
  8. Amber | 80
  9. Sunshine | 90
  10. Give You the World | 80

8. Fontaines D.C. – "Skinty Fia"

Veröffentlichungsdatum: 22. April
Genre: Post-Punk / Gothic-Rock
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

I love you, I told you I do. It's all I've ever felt. I've never felt so well. And if you don't know it, I wrote you this tune to be here loving you, when I'm not with you.

Was nach einem typischen, kitschigen Liebessong klingt, ist eigentlich ein Hassliebessong an die Heimat. Fontaines D.C. sind eine irische Band und Skinty Fia ist ihr Londoner Exilalbum über die Heimat. Passenderweise ist der Titel des Albums ein irisches Sprichwort. Sinngemäß übersetzt bedeutet "skinty fia" nichts weiter als "verdammte Scheiße". Es ist ein Ausdruck des Frusts, den die Iren gegenüber ihrem Heimatland verspüren. Genau dieser Frust hat die Band nach London gebracht – und genau dieser Frust dominiert auch Skinty Fia, das so zu einem der bedeutungsvollsten Alben des Jahres wird. Sänger Grian Chattenunterstreicht das als zentraler Teil der Musik beeindruckend mit seinem irischen Akzent, seinem an Sprechgesang grenzenden (Mono-)Ton und den grenzgenialen Texten. Banger wie Jackie Down the Line und Skinty Fia sind inklusive. 

  1. In ár gCroíthe go deo | 85
  2. Big Shot | 85
  3. How Cold Love Is | 80
  4. Jackie Down the Line | 95
  5. Bloomsday | 80
  6. Roman Holiday | 90
  7. The Couple Across the Way | 75
  8. Skinty Fia | 90
  9. I Love You | 90
  10. Nabokov | 75

7. Daniel Rossen – "You Belong There"

Veröffentlichungsdatum: 8. April
Genre: Progressive-Folk / Chamber-Folk
slothsound-Review-Rating: 8 / 10 

Die de facto Auflösung von Grizzly Bear im Jahre 2020 ist irgendwie etwas untergegangen in der Musikpresse. Hier also die Info: Bandgründer und Co-Leadsänger Ed Droste hat die Band verlassen, um Therapeut zu werden. Zum Glück gibt es noch den zweiten Lead-Sänger, Songwriter und genialen Gitarristen Daniel Rossen. Der lieferte mit You Belong There den perfekten Ersatz für ein neues Grizzly Bear-Album und knüpft locker an die besten Werke der Band an. Dafür hat er sich eben mal zum Multi-Instrumentalisten weitergebildet. Soll heißen: Er hat für You Belong There sogar neue Instrumente zu spielen gelernt. Bis auf das Schlagzeug wurde also alles auf You Belong There von ihm performt – und an den Drums sitzt sein Grizzly Bear-Kollege Christopher Bear, der auch auf dem letzten Fleet Foxes-Album Shore gespielt hat. Bear ist ein ebenso kreativer und einzigartiger Schlagzeuger wie es Rossen ein solcher Gitarrist ist. Die Spielstile der beiden passen perfekt zusammen und so entsteht das komplexe, fließende, sich unvorhersehbar entwickelnde Progressive-Folk-Meisterwerk You Belong There, dem Rossen mit seinen Texten und der sofort erkennbaren Stimme einen düsteren, pessimistisch-deterministischen Anstrich gibt. Nicht umsonst heißt der finale Song des Albums Repeat the Pattern, denn die Menschheit läuft ihrer Natur gemäß im Kreis.
Zum Abschluss ein persönlicher Fun Fact: In 2022 war das Album aus all diesen Gründen der perfekte Soundtrack zu meiner kleinen Obsession mit der Fantasy-Buchreihe The Witcher und dem zugehörigen Videospiel-Klassiker The Witcher 3: Wild Hunt – dicke Empfehlung für alle soeben genannten Medien!

  1. It's a Passage | 90
  2. Shadow In the Frame | 95
  3. You Belong There | 80
  4. Unpeopled Space | 95
  5. Celia | 80
  6. Tangle | 80
  7. I'll Wait For Your Visit | 90
  8. Keeper and Kin | 90
  9. The Last One | 95
  10. Repeat the Pattern | 85

6. Jockstrap – "I Love You Jennifer B"

Veröffentlichungsdatum: 9. September
Genre: Glitch-Pop / Art-Pop
slothsound-Review-Rating: 8 / 10

Wenn es dieses Jahr eine Künstlerin im Musikbusiness gibt, die so richtig abgeräumt hat, dann ist das Georgia Ellery. Sie kennt man nicht nur als die Geigerin von Black Country, New Road, sondern seit neuestem auch als Sängerin des Duos mit dem famosen Namen Jockstrap, was im Deutschen so viel wie Genitalschutz bedeutet. Was jetzt nach Female-Punk klingt, ist eigentlich eine- ja was eigentlich? Glitch-Pop-Band? Art-Pop-Band? Naja, zumindest in dieser Hinsicht sind Jockstrap ziemlich Punk – der Punk des Pop könnte man sagen. Ihr Stil ist nicht kategorisierbar, grundlegend feministisch, irgendwie pur und unschuldig, aber auch eindeutig dreckig. Man kann Jockstrap nicht weniger zuschreiben, als das sie den Pop voranbringen. I Love You Jennifer B heißt das Debüt(!)album, dass wir hier besprechen übrigens. Und es ist locker das am besten produzierte Album des Jahres. An dieser Stelle sei also auch der Name des zweiten Parts im Duo genannt: Taylor Skye. Für den perfekten Pop-Song hört euch Greatest Hits an, für den Glitch und die Melancholie Concrete Over Water, für das Fernweh Glasgow und für den dreckigen Part Neon und Jennifer B. Warum ist das Album nicht höher auf der Liste/höher bewertet, höre ich die geneigten Lesenden fragen? Leider haut die Schlusssequenz nicht ganz hin. Glasgow ist einer der besten Songs auf dem Album, doch eher ein ruhigerer. Danach wird's noch ruhiger und recht unspektakulär mit Lancaster Court und als Finale folgt der überhaupt nicht finale und unnötige Extended Mix von 50/50, was locker der schwächste Glitch-Song bzw. Banger im klassischen Sinne des Albums ist. Das tut der Grandiosität von I Love You Jennifer B zwar keinen Abbruch, aber es macht aus einem formvollendeten Meisterstück ein "nur" sehr gutes Album.

  1. Neon | 90
  2. Jennifer B | 85
  3. Greatest Hits | 95
  4. What's It All About | 80
  5. Concrete Over Water | 100
  6. Angst | 80
  7. Debra | 85
  8. Glasgow | 95
  9. Lancaster Court | 80
  10. 50/50 (Extended Mix) | 75

5. Beyoncé – "RENAISSANCE"

Veröffentlichungsdatum: 29. Juli
Genre: Dance-Pop / House / Contemporary R&B
slothsound-Review-Rating: 9 / 10

Musikkritiker sind sich einig: Beyoncés RENAISSANCE ist das Album des Jahres – und wenn es um kulturelle Relevanz und das Pop-Genre geht, ist das auch absolut richtig. Fünf Jahre nach ihrem letzten Album Lemonade vollzieht Queen B einen Stilwandel unterstützt von über 100 verschiedenen Produzenten und Songwritern. Wie das zustande kommt? RENAISSANCE ist ein Hommage an die House-Musik der '80er und '90er sowie gleichzeitig eine Huldigung queerer und schwarzer Kultur. Gerade darum findet man auf RENAISSANCE besonders viele Interpolationen und Samples von Songs wichtiger Künstler für queer-schwarzen House. Beyoncé verbaut und reinterpretiert diese perfekt. RENAISSANCE zählt ganze 16 Tracks bei einer Laufzeit von über einer Stunde. Fast alle Songs gehen nahtlos ineinander über und so ist RENAISSANCE eine ununterbrochene Dance-Party voller Selbstvertrauen, weiblicher Emanzipation und Zelebration. Doch die Musik ist nicht nur unfassbar clubtauglich und eingängig, sondern auch komplex mit vielen Tempo- und Taktartwechseln, verschiedensten Genre-Einflüssen und komplizierten Songstrukturen. RENAISSANCE ist eine Masterclass darin wie man ein richtig gutes Pop-Album auf die Beine stellt, auch wenn dem Album stellenweise an inhaltlicher Substanz fehlen mag.

  1. I’m That Girl | 80
  2. Cozy90
  3. Alien Superstar100
  4. Cuff It 90
  5. Energy | 80
  6. Break My Soul95
  7. Church Girls | 75
  8. Plastic Off the Sofa | 80
  9. Virgo’s Groove90
  10. Move | 85
  11. Heated | 85
  12. Thique | 75
  13. All Up In Your Mind | 75
  14. America Has a Problem | 75
  15. Pure/Honey95
  16. Summer Renaissance90

4. Beach House – "Once Twice Melody"

Veröffentlichungsdatum: 18. Februar
Genre: Dream-Pop / Neo-Psychedelia / Ethereal-Wave
slothsound-Review-Rating: 9 / 10

Dream-Pop: Das Genre entstand und hatte seine Blütezeit Ende der 1980er bzw. Anfang der '90er – und doch hat seine bedeutungsvollste Band ihr Debütalbum erst 2006 veröffentlicht. 16 Jahre und sieben Alben später und Beach House sind immer noch ein Monopol und noch immer in der langsamen, aber stetigen Entwicklung. Ab dem zweiten Album Devotion formten sie ihren typischen Stil. Sie perfektionierten ihn mit dem vierten Album Bloom und feierten ihren größten Song-Erfolg auf dem darauffolgenden Depression Cherry. Seit 7, dem Vorgänger von Once Twice Melody, sind Beach House intensiver denn je dabei, ihre Dream-Pop-Sphären neu auszuloten. So haben sie ein neues Meisterwerk auf die Beine gestellt: Once Twice Melody ist ein in vier Kapitel eingeteiltes Doppelalbum, dass in EPs von November 2021 bis Februar 2022 veröffentlicht wurde. Neu sind dabei die vielen akustischen Drums, das Live-Orchester und der epische, larger than life Sound. Once Twice Melody fühlt sich an wie die Vollendung von Beach House; das Ergebnis aus allem, was sie bisher gelernt haben – so ein bisschen wie ihr White Album. Genau wie das White Album ist der einzig bleibende Kritikpunkt, dass die zweite Disk etwas abfällt. 

Chapter 1

  1. Once Twice Melody | 100
  2. Superstar | 100
  3. Pink Funeral | 95
  4. Through Me | 90

Chapter 2

  1. Runaway | 85
  2. ESP | 80
  3. New Romance | 95
  4. Over and Over | 95

 

Chapter 3

  1. Sunset | 85
  2. Only You Know | 90
  3. Another Go Around | 80
  4. Masquerade | 90
  5. Illusion of Forever | 85

Chapter 4

  1. Finale | 85
  2. The Bells | 85
  3. Hurts to Love | 85
  4. Many Nights | 80
  5. Modern Love Stories | 85

3. Weyes Blood – "And In the Darkness, Hearts Aglow"

Veröffentlichungsdatum: 18. November
Genre: Baroque-Pop / Art-Pop / Singer-Songwriter
slothsound-Review-Rating: 9 / 10

And In the Darkness, Hearts Aglow – was für ein wundervoller Titel. Wäre da nicht mein Platz 1, würde die Ehre für das schönste Album des Jahres an dieses neue Projekt von Weyes Blood gehen. Die US-amerikanische Singer-Songwriterin heißt eigentlich Natalie Mering. Sie ist auch bekannt als die Joni Mitchell oder Carol King unserer Zeit – und genau diesen Einflüssen huldigt sie auf ihrem neuen Album. Wo ihr Durchbruchalbum Titanic Rising 2019 noch mit Experimenten aufwartete, ist And In the Darkness, Hearts Aglow deutlich klassischer (also orchestraler, aber eben vor allem konventioneller). Das machen Natalie Merings Gesang, die Performances ihrer Band, das slow burn-Songwriting und der absolut kunstfertige Sound des Albums aber locker wieder wett.
Der beste Song von And In the Darkness... ist God Turn Me Into a Flower. Neben der Piano-Ballade am Ende des Albums, ist es der einzige Song der vollkommen ohne Percussions auskommt. Mering singt einfach über einen ambienten Synth-Ton, der sich später in eine klangliche Zelebrierung der Natur entwickelt. Im Text geht es um den griechischen Mythos von Narziss. Er verliebt sich in sein eigenes Spiegelbild und wird am Ende von den Göttern in eine Blume verwandelt – eine Narzisse um genau zu sein. Mering interpretiert die Verwandlung des Narziss, der den Sinn für seine Umgebung und Umwelt in seiner Selbstliebe komplett verloren hat, als Heilung für seine Selbstverliebtheit. Indem er zu einer Blume wird, erfährt er eine Wiederverbindung mit der Natur. Deshalb auch die gebetartige titelgebende Zeile: O god, turn me into a flowerMering bezieht das auf ein "Zeitalter des Narzissmus", indem sich die Gesellschaft aktuell, besonders im Angesicht von Social Media, befindet – so beschreibt sie es in einem Pitchfork-Interview. 
God Turn Me Into a Flower enthält nicht die einzige, tief berührende gesellschaftliche Beobachtung Merings auf And In the Darkness, Hearts Aglow. Der vorletzte Song des Albums The Worst Is Done ist z.B. ein optimistisch klingendes, aber zugleich zutiefst pessimistisches Post-Corona-Stück. So lautet der Chorus: They say the worst is done / But I think the worst has yet to come. Das kann man auch auf andere Krisen und Zeichen unserer Zeit beziehen, wie das Zeitalter des Narzissmus oder den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder den Klimawandel. Zeilen wie It's been a long strange year oder I should've stayed with my familyI shouldn't have stayed in my little placeIn the world's loneliest city oder Didn't think we'd all lean in to hyper-isolation weisen jedoch recht eindeutig auf die Corona-Lockdowns hin. Trotzdem: The Worst Is Done ist eine tolle Antwort auf das Jahr 2022 in all seinen Facetten – und eigentlich sogar auf die gesamten bisherigen 2020er-Jahre. Genau diese Bedeutung hat And In the Darkness, Hearts Aglow auch als Ganzes. Es ist Natalie Merings persönliche Reflexion auf die letzten paar Jahre im zeitlosen '70er Gewand. 

  1. It's Not Just Me, It's Everybody | 85
  2. Children of the Empire | 95
  3. Grapevine | 95
  4. God Turn Me Into a Flower | 100
  5. Hearts Aglow | 90
  6. And In the Darkness | NR
  7. Twin Flame | 80
  8. In Holy Flux | 75
  9. The Worst Is Done | 90
  10. A Given Thing | 80

2. black midi – "Hellfire"

Veröffentlichungsdatum: 14. Juli
Genre: Avant-Prog / Experimental-Rock / Jazz-Rock / Hard Rock
slothsound-Review-Rating: 9 / 10

Irgendwo zwischen Kurzgeschichtensammlung und Konzeptalbum – Black Midis Hellfire ist eine Analyse des Bösen. Fast jede Figur ist ein Dreckssack, sagt Sänger Geordie Greep. Die Songs erzählen von Mord, Homophobie, tyrannischen Militärs, Spielsucht und Prostitution – mittendrin eine queere Liebesgeschichte und ein Ex-Private. So richtig narrativ zusammenlaufen tut das alles nicht. Trotzdem wirkt Hellfire wie ein Konzeptalbum mit expressionistischen Motiven und Charakteristika eines epischen Action-Films, wie Geordie Greep feststellt. Das trifft auch auf die Musik zu. Natürlich gibt es das für Black Midi typische kontrollierte Chaos; Dissonanzen und große Breakdowns sowie Genre-Crossover von Thrash-Metal über Free-Jazz zu Flamenco und Folk. Ein besseres Progressive-Rock-Album findet man in 2022 nicht. Und angenehmerweise nehmen sich Black Midi dabei nicht zu ernst.

  1. Hellfire | 85
  2. Sugar/Tzu | 100
  3. Eat Men Eat | 95
  4. Welcome to Hell | 100
  5. Still | 90
  6. Half Time | NR
  7. The Race Is About To Begin | 85
  8. Dangerous Liaisons | 85
  9. The Defence | 85
  10. 27 Questions | 95

1. Black Country, New Road – "Ants From Up There"

Veröffentlichungsdatum: 4. Februar
Genre: Art-Rock / Post-Rock / Chamber-Pop / Midwest-Emo
slothsound-Review-Rating: 9 -> 10 / 10

Erst 2021 haben Black Country, New Road ihr Debütalbum veröffentlicht, nun ist die Band bereits ohne ihren Frontmann Isaac Wood. Mit dem zweiten Werk Ants From Up There hat er zum Abschluss sein Meisterwerk hinterlassen. Es handelt sich um ein Konzeptalbum über eine toxische und einseitige Fernbeziehung, die Wood mit den mental health Problemen zurückgelassen hat, die ihn vier Tage vor Release zum Austritt gebracht haben. 

And you like concorde / I came a gentle hill racer / I was breathless upon every mountain / Just to look for your light

Das Cover zeigt es und Isaac Wood besingt es: Concorde. Dieses erste und einzige Überschallpassagierflugzeug repräsentiert seine Ex-Partnerin, die für ihn unerreichbar war und ist. Doch Woods komplexe, teils absurd metaphorische und metatextuelle Texte hier in ihrer Gesamtheit detailiert zu analysieren, möchte ich mich nicht trauen. Vielleicht sind sie auch gar nicht so wichtig, denn die Musik von Black Country, New Road spricht immer für sich. Immerhin sind die Songs älter als die vom Debütalbum For the first time und lang erprobt in Live-Shows. Genretechnisch lässt sich das irgendwo zwischen Post-Rock und Kammer-Pop verorten. Das Band-Line-up zählt neben der klassischen Rock-Aufstellung einen Saxophonisten, eine Geigerin und eine Keyboardspielerin, was in  in detailreichen, verspielten und dynamischen Arrangements mit Jazz- und Klassik-Einflüssen mündet, die von der ungeschönten, ehrlichen und klaren Production zum Leben erweckt werden – ganz so als würde die Band live vor einem im Studio performen. Das passt ebenfalls perfekt zu Isaac Woods rohen und emotionalen, gar theatralischen Vocals. 

Ants From Up There ist so nichts geringeres als ein Meisterwerk; ein sofortiger Klassiker mit unfassbarer emotionaler Strahlkraft von einer einzigartigen Band, die in der Form leider nicht mehr weiterexistiert. Aber wenn das der Preis für Ants From Up There ist, dann ist das zu verkraften. Es bleibt nur Isaac Wood, einem außergewöhnlichen Texter und Performer, alles Gute zu wünschen. 

  1. Intro | NR
  2. Chaos Space Marine | 95
  3. Concorde | 100
  4. Bread Song | 90
  5. Good Will Hunting | 95
  6. Haldern | 95
  7. Mark's Theme | 85
  8. The Place Where He Inserted the Blade | 100
  9. Snow Globes | 90
  10. Basketball Shoes | 90